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II.
Schiller-Gedächtnisrede,
gehalten am 9. Mai.


Hochgeehrte Versammlung!

Als ich im März die Auszeichnung hatte, Ihnen Goethes „weder – weder“ in seiner ganzen Bedeutsamkeit und in der Fülle seiner ästhetischen Begründungen darzulegen, ahnte ich nicht, daß mir mit fast beschämender Einstimmigkeit auch die Rede für den heutigen Gedächtnistag unseres herrlichen Friedrich Schiller anvertraut werden sollte. Noch weniger aber ahnte ich, daß sich mir für diesen meinen zweiten Versuch, einem Großen gerecht zu werden, völlig unverhofft, ja wie durch höhere Fügung ein Gegenstand bot, der die Aufeinanderfolge dieser beiden Vorträge noch in weit höherem Maße rechtfertigen kann, als es die mich so tief bewegende Wertschätzung meiner bescheidenen Kräfte an sich vermöchte. Denn dieser Gegenstand schließt sich nicht nur aufs innigste an das Thema meiner Ausführungen am verflossenen Goethe-Gedächtnistage an, er bedeutet auch geradezu eine notwendige Ergänzung zu dem damals Gesagten, und zwar im Sinne jener geheimnisvollen inneren Gewißheit, die uns die geliebten Dichter-Dioskuren gar nicht anders vorstellen läßt als wie unser heimisches Denkmal sie zeigt: verschiedenen, ja gegensätzlichen Wesens, aber Schulter an Schulter in Ebenbürtigkeit vereint!

Es war vor fünf Wochen, am ersten April nachmittags nach 4 Uhr – ich stelle den Zeitpunkt mit möglichster Genauigkeit fest, weil ich die Entdeckung,

Empfohlene Zitierweise:
Hanns von Gumppenberg: Das teutsche Dichterroß. Callwey Verlag, München 1929, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gumppenberg_Dichterross_0153.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)