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Goethe das „weder – weder“ auch dem „noch – noch“, das sicher auch durch seine Seele ging, vorziehen mußte: und heute, meine verehrten Damen und Herrn, werden wir sehen, aus welchen nicht minder zwingenden Gründen Schiller seinerseits gar nicht anders schreiben konnte als „noch – noch“!

Da ist denn vor allem hinzuweisen auf Wesen und Richtung der Schillerschen Produktion im allgemeinen. Während Goethes beschaulich umfassende Universalität das Dramatische nur mit einschloß als eine dichterische Ausdrucksform neben vielen anderen, deren er sich bediente, war Schiller, wie wir ja alle wissen, in erster Instanz Dramatiker. Zu den entscheidendsten Erfordernissen der dramatischen Kunst zählt aber die möglichste Knappheit des sprachlichen Ausdrucks. Als sich auch für Schiller in jenem Augenblicke der Produktion intuitiv die allgemeine Notwendigkeit ergab, die Fesseln der Vulgärgrammatik zu sprengen, mußte er daher sofort auch die zweite Notwendigkeit fühlen, den Sprachgebrauch nach Seite der konzisen Zusammendrängung zu verbessern. Schon aus diesem Grunde kam für ihn nur mehr das „noch“ in Betracht, nicht aber das breiter ausladende „weder“. Dabei konnte sich ihm nicht wie Goethe das ernste Bedenken entgegenstellen, mit dem zweisilbigen „weder“ auch den Wetteifer mit den altklassischen Vorbildern „neque“ und „οὄτε“ zu verabsäumen; wissen wir doch heute, daß die Klassizität Schillers im Grunde weit mehr auf dem starken Einflusse der Klassiker des französischen Dramas, namentlich auf dem Einflusse Racine’s beruhte. Die französische Sprache aber gibt in dem fraglichen grammatikalischen Falle nur ein

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Hanns von Gumppenberg: Das teutsche Dichterroß. Callwey Verlag, München 1929, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gumppenberg_Dichterross_0157.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)