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wenn in dieser Weise den verschiedenen nationalen Sprachen des Staatsvolks für den inneren und äusseren Verkehr der Staatsorgane die Gleichberechtigung zugestanden ist.[1]

III. Da eine Verschiedenheit der Grundordnung für die Beziehung der Staatsgewalt zu den Staatsgliedern schliesslich auch insofern möglich ist, als der Staatsgewalt die Eigenschaft der Souveränetät zukommen kann oder nicht, lassen sich auch die Staatsformen der „souveränen“ und der „nichtsouveränen“ Staaten einander gegenüberstellen.

Die Auffassung des Souveränetätsbegriffs hat geschwankt. Zuerst führte ihn der französische Publizist Bodin in die allgemeine Staatslehre ein. Von dem französischen König des 16. Jahrhunderts, den die französische Rechtssprache als Inhaber einer nach aussen und nach innen unabhängig gewordenen Macht souverän nannte, abstrahierend, definierte Bodin den Staat überhaupt als un droit gouvernement de plusieurs mesnages et de ce que leur est commun avec puissance souveraine (Les six livres de la république 1576). Bis in die neueste Zeit hat seit Bodin die Ansicht, dass Souveränetät, d. h. eine in ihrer Sphäre höchste Gewalt, ein Essentiale des Staatsbegriffs sei, ihre Vertreter gehabt. Im Laufe der Entwickelung ist das Wort „Souveränetät“ überhaupt in folgenden Beziehungen gebraucht worden: 1. Man hat Souveränetät und Staatsgewalt identifiziert. – 2. Als Staatssouveränetät ist die Eigenschaft des Staats als Subjekt einer „souveränen“ Staatsgewalt bezeichnet worden. – 3. Man hat Souveränetät mit dem Träger der Staatsgewalt in Verbindung gebracht und, je nachdem der letztere eine Einzelperson war oder nicht, von Fürsten- oder Volks-(National-)Souveränetät gesprochen.

Gegenüber diesem Sprachgebrauch ist vom juristischen Standpunkt aus die Gleichsetzung von Staatsgewalt und Souveränetät schlechthin abzulehnen. Denn nur die Eigenständigkeit der Befehlsmacht, nicht das Höchst-Sein derselben ist das entscheidende Charakteristikum der Staatsgewalt. Korrekt dagegen erscheint die Verbindung „Staatssouveränetät“, sofern in einem konkreten Staat nicht nur Eigenständigkeit, sondern auch das Höchst-Sein der Staatsgewalt vorliegt, und auch von Fürsten- und Volkssouveränetät lässt sich mit Bezug auf bestimmte Staaten reden, sofern daselbst auf Grund von Eigenständigkeit und Höchst-Sein der Staatsgewalt Fürst oder Volk Träger einer „souveränen“ Staatsgewalt ist.

An und für sich kann eine Staatsgewalt souverän, die höchste in ihrer Sphäre sein, braucht es aber nicht. Aus dem Moment des Höchst-Seins folgt jedenfalls zunächst, dass nach innen der Staatswille, der souverän sein soll, für alle innerhalb des Staatsgebietes befindlichen Einzelpersonen und Korporationen schlechthin der überlegene, übergeordnete sein und die Freiheit der Selbstbestimmung besitzen muss. Wohl gilt mit Bezug auf dies Innenverhältnis auch für die souveräne Staatsgewalt an sich die Schranke des Rechts, insofern dieses, so lange es nicht rechtsgültig geändert ist, von der handelnden Staatsgewalt beobachtet werden muss. Aber diese Beschränkung der Souveränetät ist selbstverständlich und widerstreitet nicht deren Begriff, da schliesslich die Dauer dieser Beschränkung jeweilig von dem Willen der souveränen Staatsgewalt abhängt und


  1. Nationalstaaten im Rechtssinne sind z. B. Spanien, Italien, Grossbritannien (mit ca. 2 Mill. Kelten in Irland, Wales, Schottland) und Frankreich (mit ca. ½ Mill. Italiener, 1 Mill. Bretons und 100 000 Basken). National-gemischte Staaten im Rechtssinne sind die Schweiz (mit Deutsch, Französisch, Italienisch als Staatssprachen, Art. 116 B. V. 29, V. 1874), Belgien (mit verfassungsmässiger Gleichberechtigung von Französisch, Vlämisch, Deutsch Art. 23 V. 7. II. 1831) und Österreich (Art. 19 G. 21. XII. 1867: „Alle Volksstämme sind gleichberechtigt und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung seiner Nationalität und Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staat anerkannt“). Preussen ist deutscher Nationalstaat im Rechtssinne jedenfalls seit dem Geschäftssprachengesetz V. 28. VIII. 1876. Auch für das deutsche Reich gilt der Rechtscharakter als deutscher Nationalstaat und der Rechtsgrundsatz der deutschen Staatssprache schon als Konsequenz der „Präambel“ der R.V., wonach der „ewige Bund“ der deutschen Einzelstaaten „zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volks“ geschlossen ist. Hubrich, Art. „Geschäftssprache“ bei Stengel-Fleischmann, Wörterbuch. – Das sog. „Nationalitätsprinzip“ dagegen, dessen Inhalt die Forderung ist, dass jede sich als solche fühlende Nation einen Staat zu bilden habe, ist lediglich politischer Natur. Es gibt keinen allgemeinen Rechtssatz – auch nicht des Völkerrechts – der das Recht der Nation an sich auf eigene staatliche Existenz gewährleistete.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/100&oldid=- (Version vom 13.7.2021)