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beteiligt sind. Auch der Kreis der vergemeinschafteten Zwecke kann enger oder weiter gezogen sein. „Staatenbündnis“ heisst eine Staatengesellschaft, welche politische Zwecke vorübergehend oder dauernd gerade gegenüber bestimmten dritten Staaten gemeinschaftlich verfolgen will.

Der Staat, der Mitglied der Völkergemeinschaft ist, besitzt völkerrechtliche Persönlichkeit, ist Völkerrechtssubjekt. Die Staatenverbindungen völkerrechtlicher und staatsrechtlicher Art schränken nur die Ausübung der in der völkerrechtlichen Persönlichkeit begriffenen Befugnisse ein, lassen jedoch den verbundenen Gliedstaaten das jus der völkerrechtlichen Persönlichkeit. Nur hat bei der völkerrechtlichen Staatenverbindung jeder Gliedstaat nach Völkerrecht die rechtliche Möglichkeit, in allen entscheidenden Fällen sich einseitig durch Kündigung der Verbindung trotz ihrer vereinbarten Dauer zu entschlagen, während die staatsrechtliche Staatenverbindung ein unbedingtes Verbleiben in der Verbindung mit sich bringt. Die völkerrechtliche Staatenverbindung ist nur vertragsmässiges Rechtsverhältnis mit grundsätzlicher Gleichstellung der Glieder, dagegen ist die staatsrechtliche Staaten Verbindung selbst Rechtssubjekt, im Ganzen auch selbst Staat und besitzt gegenüber den einzelnen Gliedstaaten eigene völkerrechtliche Persönlichkeit. Die Glieder der staatsrechtlichen Staatenverbindung sind selbst nichtsouverän; nur die Staatsgewalt, auf deren vorherrschendem Willen die Verbindung eigentlich beruht, ist souverän. Die Frage, wie weit die Glieder einer staatsrechtlichen Staatenverbindung in der Ausübung der aktiven Befugnisse der völkerrechtlichen Persönlichkeit beschränkt sind, entscheidet sich immer nach der Verfassung der Staatenverbindung; die Beschränkung kann so weit gehen, dass gegenüber den ausserhalb der Verbindung stehenden Staaten für die Gliedstaaten nur ein nudum jus aktiver völkerrechtlicher Persönlichkeit übrig bleibt.

Im einzelnen sei noch – zusammenfassend – bemerkt:

1. Zu einer Personalunion kommt es, wenn zufolge inneren monarchischen Verfassungsrechts zweier Staaten zufällig ein und dasselbe Individuum in diesen zum Träger der Staatsgewalt berufen wird. Die Personalunion ist Staats- und völkerrechtliche communio incidens, welche die rechtliche Selbständigkeit und Handlungsfreiheit der unierten Staaten an sich nicht weiter berührt und wegfällt, sobald die Thronfolgerechte wiederum auf die Berufung zweier verschiedener Individuen gehen.

2. Realunion ist diejenige Gemeinschaft des Monarchen in zwei Staaten, welche auf ausdrücklich oder stillschweigend abgeschlossenem Staatsvertrag beruht, – neben der Übereinstimmung der internen, das nämliche Individuum zum Herrscher berufenden Rechtsordnungen. Die Realunion kann vorübergehend sein, insbesondere sich nur auf ein einziges Individuum beschränken, aber auch die Form einer völkerrechtlichen Staatenverbindung annehmen, kraft welcher dann dauernd immer ein und dasselbe Individuum in den verbundenen Staaten der Herrscher ist. Eine derartige Realunion führt dann auch häufig zu einer vertragsmässigen und innerstaatlichen Vergemeinschaftung weiterer Organe.

3. Die Alliance (Schutz- und Trutzbündnis) zwischen zwei oder mehreren Staaten kann die Form einer völkerrechtlichen Staatenverbindung annehmen, wenn sie auf die Dauer abgestellt ist.

4. Verwaltungsunionen heissen die völkerrechtlichen Staatenverbindungen behufs gemeinschaftlicher Verfolgung bestimmter Kulturzwecke (z. B. Weltpostverein, Eisenbahngemeinschaften).

5. Die völkerrechtliche Staatenverbindung, mag ihr Gegenstand die gemeinschaftliche Verfolgung von kulturellen oder von politischen Zwecken sein, kann organisiert sein oder nicht, d. h. der gemeinschaftlichen Zweckverfolgung können bestimmte gemeinschaftliche Organe dienen oder nicht. Doch sind diese Organe niemals Träger einer ursprünglichen Willensmacht gegenüber den Gliedstaaten, sondern wurzeln durchaus im Vertragswillen der letzteren und dienen der Entfaltung desselben.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/103&oldid=- (Version vom 15.7.2021)