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6. Staatenbund ist diejenige organisierte völkerrechtliche Staatenverbindung, welche die Einzelstaaten als Machtfaktoren vereinigt und sie in dieser Vereinigung schlechthin oder doch grundsätzlich als Einheit allen anderen Staaten gegenüberzustellen bezweckt. Der Staatenbund ist ebenfalls nur Rechtsverhältnis, nicht Rechtssubjekt. Im Innern herrscht an sich Gleichberechtigung der Glieder, und wo der Staatenbund als Gesamtmacht nach aussen auftritt, handelt es sich um Befugnisse, welche quoad jus in der völkerrechtlichen Persönlichkeit der einzelnen Gliedstaaten enthalten sind, und die nur, dritten Staaten gegenüber gemeinschaftlich auszuüben, die Gliedstaaten übereingekommen sind. Eine selbständige völkerrechtliche Persönlichkeit des Staatenbundes wird dadurch nicht geschaffen. Das Zentralorgan des Staatenbundes stellt nur die zusammengelegte Summe der Einzelwillen der Glieder dar, nicht eine ursprüngliche und den Gliedstaaten gegenüber selbständige Willensmacht. Neben dem Machtzweck pflegt im Staatenbund ein grösserer Kreis von Kulturzwecken vergemeinschaftet zu werden.[1]

7. Obwohl das Völkerrecht von dem Rechtsgrundsatz der Gleichheit der Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft ausgeht, kann es dennoch völkerrechtliche Staatenverbindungen mit Subordination eines oder mehrerer Staaten gegenüber einem anderen Staat geben. Doch beeinträchtigt, wie bereits bemerkt, diese Subordination weder die Souveränetät, noch das jus der völkerrechtlichen Persönlichkeit der untergebenen Staaten. Nur die Ausübung der in der völkerrechtlichen Persönlichkeit der untergebenen Staaten enthaltenen Befugnisse ist staatsvertragsmässig beschränkt, wie eventuell auch die Ausübung der inneren Hoheitsrechte. Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt bleiben an sich rechtlich selbständig und unterliegen nur der vertragsmässigen Einwirkungsmacht des übergeordneten Staats. In diese Kategorie fallen die modernen Protektoratsverhältnisse. Bei einem staatsrechtlichen Unterordnungsverhältnis dagegen bilden Staatsgebiet und Staatsvolk des untergebenen Staats Bestandteile von Staatsgebiet und Staatsvolk des übergeordneten Staats und völkerrechtliche Handlungen des letzteren gelten präsumtiv auch für Staatsgebiet und Staatsvolk des untergebenen Staats. Solche staatsrechtlichen Unterordnungsverhältnisse lagen insbesondere zwischen der Türkei und ihren Vasallenstaaten vor.

8. Die staatsrechtliche Staatenverbindung heisst technisch „zusammengesetzter Staat“, „Staatenstaat“. Sie bildet trotz der staatlichen Natur ihrer Glieder auch im Ganzen einen Staat mit einer eigenständigen, souveränen Oberstaatsgewalt (Zentralgewalt, Gesamtstaatsgewalt, Reichsgewalt) gegenüber den nichtsouveränen, aber eigenständigen Unterstaatsgewalten der Glieder und mit eigener völkerrechtlicher Persönlichkeit gegenüber den in der Ausübung ihrer völkerrechtlichen Persönlichkeit mehr oder weniger nach Massgabe der Gesamtstaatsverfassung beschränkten Gliedern. Träger der Oberstaatsgewalt im zusammengesetzten Staat kann ein Monarch sein, wenn dazu ein Einzelindividuum unmittelbar durch die Gesamtstaatsverfassung berufen ist. In allen anderen Fällen ist die Verfassungsform des zusammengesetzten Staats republikanisch. Eine Republik war z. B. auch das alte deutsche Reich seit dem Westfälischen Frieden, da seitdem als Träger der Reichsgewalt die Einheit von Kaiser und den zum Reichstagskolleg formierten Reichsständen („Kaiser und Reich“) galt. Ein Bundesstaat aber ist diejenige Spezies aus dem genus „zusammengesetzter Staat“, bei welcher Träger der Oberstaatsgewalt die Einheit aller verbundenen Gliedstaaten ist; der Verfassungsform nach fällt der Bundesstaat daher unter die Kategorie „Aristokratie“.

C. Rechtsnatur des Deutschen Reichs (Elsass-Lothringen). Der norddeutsche Bund, wie das Deutsche Reich waren von vornherein staatsrechtliche Staatenverbindungen, im Ganzen selbst Staaten. Hierauf deuten nicht nur klare Äusserungen der bei den Gründungsvorgängen beteiligten


  1. Ein klassisches Beispiel des Staatenbundes lieferte der „Deutsche Bund“ von 1815–1866 mit den beiden sog. „Bundesgrundgesetzen“: der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 und der Wiener Schlussakte vom 15. V. 1820. Gegen den Versuch von Ebers, den Staatenbund auf den Begriff der „Gemeinschaft zur gesamten Hand“ zurückzuführen, treffend Laband im Arch. d. öff. R. Bd. 27 S. 340.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/104&oldid=- (Version vom 15.7.2021)