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Religionsgesellschaften sind dieselben, wie in allen Zweigen der Staatsverwaltung. Unter dem besonderen Gesichtspunkt der Kirchenhoheit hat sich als Mittel präventiver Staatsaufsicht aus Jahrhunderte alter Übung in mehreren deutschen Staaten das sog. Placet erhalten, d. h. der Vorbehalt staatlicher Genehmigung zur Verkündigung oder zum Vollzug kirchlicher Gesetze und Erlasse; so in Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen. In Preussen wurden die landrechtlichen Bestimmungen darüber durch die Verfassung von 1850 beseitigt. Grundsätzlich ist diese veraltete Massregel der Staatsaufsicht nicht zu billigen, weil sie von Eingriffen in die sacra interna sich nicht frei zu halten vermag und dem internationalen Charakter der katholischen Kirche gegenüber völlig wirkungslos ist. Gerechtfertigt und notwendig ist eine verwandte, in den Gang der evangelischen Kirchengesetzgebung eingeschobene Massregel. Von den Synoden beschlossene Kirchengesetze müssen vor der landesherrlichen Sanktion einer obersten Staatsbehörde zur Prüfung vorgelegt werden. Dies hat den Zweck, eine Pflichtenkollision des Landesherrn in seiner Doppeleigenschaft als Inhaber des Kirchenregiments und der Staatsgewalt zu verhindern. Ein praktisch wichtiges Repressivmittel der Staatsaufsicht ist endlich noch die Temporaliensperre, d. h. die Einbehaltung der aus staatlicher Quelle fliessenden Amtseinkünfte von Bischöfen oder Pfarrern, sei es bei Verweigerung des Staatsgehorsams im allgemeinen, sei es zur Erzwingung einer einzelnen gesetzlichen Massregel. Für die Zulässigkeit des Mittels ist die rechtliche Natur der zu sperrenden Amtseinkünfte entscheidend. Solche privatrechtlicher Natur können, wie in Bayern, nur auf Grund gesetzlicher Ermächtigung, solche öffentlich rechtlicher Natur im Verwaltungswege gesperrt werden. Letzteres ist, wie durch Richtersprüche anerkannt, die Rechtslage in Preussen für diejenigen Staatsleistungen an die katholische Kirche, welche auf der Circumskriptionsbulle De salute animarum von 1821 beruhen.

5. Der Grundsatz der Advokatie d. h. des Schutzes und der Förderung des Kirchenwesens durch den Staat. In Gesetzgebung und Verwaltung will das System der Kirchenhoheit die Würdigung der in den Kirchen gelegenen ethisch-religiösen Kräfte, ihre Bedeutung für Staatsleben und Volkswohl zum Ausdruck bringen. Trotz der rechtlichen Unterordnung in sacris externis setzt durch Betätigung der Advokatie der Staat die grossen historischen Kirchen zu sich in ein Verhältnis ethischer Gleichordnung. Eben und nur an dieser Stelle findet im Rahmen des Systems der Kirchenhoheit der Wahrheitsgehalt der christlichen Staatsidee seine befriedigende Verwirklichung. Die positiv-rechtlichen Äusserungen der Advokatie verteilen sich auf verschiedene Gebiete der Beziehungen von Staat und Kirche. Sie betreffen das Verhältnis der Kirchenverfassung zur staatlichen Rechtsordnung, die Gewährung äusserlicher Staatshülfe an die Kirchengesellschaften, die Berücksichtigung des Kirchenwesens im öffentlichen Leben und den besonderen strafrechtlichen Schutz der Kirchen. Die Verfassung der Kirchen als öffentlicher Korporationen bildet einen Bestandteil des öffentlichen Rechts im Staat. Daher sind die Kirchenämter öffentliche Ämter, die Organe der kirchlichen Selbstverwaltung Behörden, die Kirchendiener Träger gewisser staatlich anerkannter geistlicher Standesrechte, welche, soweit sie auf der Reichsgesetzgebung beruhen, sich v. a. auf Erleichterungen hinsichtlich der Militärpflicht und auf gewisse Begünstigungen im Gebiet der Rechtspflege (Befreiungen, Beichtgeheimnis) beziehen. Die Gewährung äusserlicher Staatshülfe tritt zunächst in Form der Dotation der Kirchen aus Staatsmitteln auf. Diese Leistungen sind entweder fortdauernde, d. h. in den Staatshaushaltsetats regelmässig wiederkehrende, so die Positionen für evangelische Kirchenregimentsbehörden, für Bischöfe und Domkapitel, für Pfarrgeistliche, Besoldungen und Pensionen, oder sie sind einmalige ausserordentliche Staatszuschüsse, wie solche gelegentlich für Kirchenbauten und andere kirchliche Zwecke bewilligt werden. Das konkrete Mass der Zuwendungen kann immer nur aus den unter Mitwirkung der Volksvertretungen in Gesetzesform festgestellten Kultusbudgets der einzelnen Staaten entnommen werden. Die Staatshülfe tritt aber weiter auch noch in der Form des brachium saeculare auf, d.h. in der Gewährung des staatlichen Verwaltungszwangs für kirchliche Zwecke. Die Bulle Unam sanctan forderte die Führung des weltlichen Schwertes ad nutum sacerdotis als Pflicht des Staats. Im System der Kirchenhoheit ist das brachium saeculare ein auf dem Grunde der ethischen Wertschätzung der Kirche freiwillig dargebotener Schutz des Staates. Der Staat begrenzt

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/120&oldid=- (Version vom 17.7.2021)