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für die Lebensfähigkeit aller Gewerbe, die schwere Güter verfrachten müssen; ihre einseitige Handhabung zugunsten einzelner Interessenten, wie sie in der Hand von Privatgesellschaften nicht ausgeschlossen ist, zeigt sich als tiefgreifender Schaden für die Gesamtwirtschaftsentwicklung des Landes. Diese Schäden waren bekanntlich in den Vereinigten Staaten von Amerika (im Zusammenhang mit dem Trustwesen) so gross, dass der Bund den Privatbahnen die Tarifhoheit genommen und sie in die Hände einer staatlichen Behörde, der Interstate commerce commission, gelegt hat. Der Staat wirtschaftet als Eisenbahnunternehmer, wenn auch die Eisenbahnen eine Einnahmequelle ersten Ranges für ihn geworden sind, doch im wesentlichen nur, um Missbräuche privatwirtschaftlicher Ausnutzung zu verhindern. – Das umgekehrte Extrem stellt die staatliche Landwirtschaft dar. Wenn die Domänen im Mittelalter und eigentlich bis zum Beginn des modernen Staates die staatliche Haupteinnahmequelle waren, so erklärte sich das rein negativ aus dem Mangel an Bareinnahmen, die sich bei überwiegender Naturalwirtschaft nicht beschaffen lassen. Hält man die Domänen jetzt noch fest, so spielt dabei – abgesehen von Versuchswirtschaften, Gestüten, Lehrgütern – mehr die Tradition als ein wirkliches Bedürfnis die entscheidende Rolle. Die durchaus individuelle Leitung, wie sie ein moderner landwirtschaftlicher Grossbetrieb verlangt, verträgt sich nicht mit dem notwendigen Bureaukratismus staatlicher Wirtschaftsführung; und so sind die Domänen denn auch fast durchwegs verpachtet, werden also zu Erwerbszwecken genutzt. Zwischen reinem Erwerbs- und allgemeinem Staatsinteresse endlich liegen die Erwägungen, welche den Staat zur Betreibung von Bergwerken (Kohle, Kali) bewegen. Die Wirtschaftsführung ist einfach genug, um ihm keine Schwierigkeiten zu machen; die Gefahr einer Monopolbildung zuungunsten der Konsumenten dieser wichtigsten Rohstoffe (wie auch der Verschleuderung von Naturschätzen) liegt so nahe, dass Allgemeininteressen es rechtfertigen, wenn der Staat die Hand im Spiele behalten will.

Soweit der Staat sich nicht durch Eigeneinnahmen selbst ernährt, fordert er kraft seiner Staatshoheit die Mittel zur Förderung seiner Zwecke von seinen Bürgern. Die Höhe wie Art und Verteilung dieser Steuern wirken in gleich starker Weise wieder auf die Privatwirtschaft der einzelnen zurück, was ebensowohl beabsichtigt wie unerwünschte Nebenwirkung sein kann. Es sei nur daran erinnert, wie tief die Zollpolitik die Wirtschaftsverfassung beeinflusst. Aber auch die anderen Steuergesetze haben solche Wirkungen (Branntweinsteuerkontingentierung, Einfluss der Wertzuwachs- und Umsatzsteuern auf den Grundstücksverkehr usw.). Bei der Ausgestaltung der direkten Steuern wird ganz bewusst eine sozialpolitische Wirkung erstrebt (Freihaltung der geringsten Einkommen, stärkere Heranziehung fundierter Einkommen, geringere Belastung der kinderreichen Familien, progressiver Steuersatz). Entscheidend bei allen steuerpolitischen Fragen bleibt freilich der Gesichtspunkt der Staatsnotwendigkeit.

Je mehr der Staat sich für seine eigene finanzielle Leistungsfähigkeit auf die in Steuerform geleisteten Beiträge seiner Bürger angewiesen sieht, umso grösser wird sein Interesse an deren wirtschaftlichem Gedeihen. Dieser Standpunkt – Förderung des Bürgererwerbs im Interesse der Staatsfinanzen – ist der des älteren merkantilistischen Staates wie der im wesentlichen jetzt noch herrschenden neomerkantilistischen Richtung. Die dadurch bedingte direkte Einwirkung des Staates auf die Volkswirtschaft vollzieht sich in drei Formen: regelnd, fördernd und hemmend.

Es sind eine Reihe allgemeiner Staatsaufgaben, die gewissermassen zugleich das Fundament einer geregelten Wirtschaft schaffen. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, die Gewährleistung sicheren und unparteiischen Rechtsschutzes, die Schaffung oder Kodifizierung zweckentsprechender Rechtsnormen sind die Voraussetzungen einer Wirtschaft grösseren Stils; wo solche fehlen, wie vor kurzem noch in manchen Teilen des Orients oder in dem grössten Teile Innerafrikas, wird sich ausser der Landwirtschaft nur ein primitives Handwerk und ein in seinen Ergebnissen stets gefährdeter Handel entwickeln können. Die Ordnung des Münz-, Mass- und Gewichtswesens, die Schaffung und Unterhaltung eines brauchbaren Wegenetzes (durch den Staat selbst oder seine nachgeordneten Organe), die Regelung des Marktwesens sind weitere Bausteine zum Fundament der Volkswirtschaft.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/129&oldid=- (Version vom 18.7.2021)