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So wichtig, ja unbedingt notwendig alle diese Staatsmassnahmen allgemeiner Natur sind, sie schaffen doch nur erst den Rahmen, innerhalb dessen sich die tatsächlichen Vorgänge der Volkswirtschaft abspielen. Aber auch in diese hinein greift jetzt der Staat unbedenklich mit starker Hand.

Das Endziel der Wirtschaft ist der Gewinn. Das Streben nach Gewinn zu fördern hat der Staat tausend Mittel. Er kann den wirtschaftlichen Erfolg ehren, wie er den kriegerischen oder geistigen geehrt hat: durch Verleihung von Auszeichnungen, über die er in jedem Grade verfügt. Die Schaffung eines neuen Geld- oder Industrieadels neben dem alten Adel des Schwerts und der Robe regt die mächtigsten Instinkte der Menschenbrust, den Ehrgeiz an; die soziale Ehrung des Wirtschaftserwerbs führt ihm eine Reihe fähigster Köpfe zu, die ohne diesen psychologischen Antrieb sich anderen Berufen zugewandt hätten.

Fördert der Staat auf diese Weise die Wirtschaft, indem er ihre Führerstellen füllen hilft, so kann er auch für Arbeitskräfte sorgen. Die Förderung der Allgemeinbildung (Volksschule, Fortbildungsschule) wie der Fachbildung (gewerbliche und landwirtschaftliche Schulen) der Arbeiter und Kleinproduzenten, die Unterstützung der Zuwanderung ausländischer Arbeiter (Ansiedlungspolitik junger Kolonialländer wie vor wenigen Jahrzehnten der United States und jetzt Argentiniens, Arbeiterbeschaffungsstellen wie die deutsche Arbeiterzentrale), das sind einige der Mittel der Arbeiterbeschaffung. Auch die Aufteilung von Grossgrundbesitz im Wege der inneren Kolonisation in Arbeiter- und Bauernstellen kann man hierher rechnen. Ebenso wie der Staat der Volkswirtschaft Kräfte zuführt, kann er auch umgekehrt die Arbeit seiner Bürger gegen die überlegene Konkurrenz Fremder schützen. Diese Überlegenheit kann ebensowohl in höherer Leistung bestehen (Ausschluss von europäischen Unternehmern in einzelnen orientalischen Staaten) wie in geringeren Ansprüchen (Ausschluss farbiger Arbeiter in angelsächsischen Ländern). Die Schutztätigkeit des Staates kommt freilich im ganzen weniger den Arbeitskräften als den Produzenten zugute; sie findet ihren Hauptausdruck in der Schutzzollpolitik.

In allen Formen des Zolles, als Erziehungszoll, als eigentlicher Schutzzoll und gelegentlich selbst als Finanzzoll spielt diese Schutzfunktion die entscheidende Rolle; der Staat will entweder vorhandene Werte nicht entwerten lassen (Getreidezoll gegen die Konkurrenz jungfräulichen und raubbaumässig ausgebeuteten transozeanischen Bodens) oder die Schaffung neuer Werte ermöglichen (Industriezölle in jungen Industrieländern). Dass für ihn selbst dabei eine direkte Bereicherung der Staatsfinanzen erfolgt, ist eine erfreuliche Nebenerscheinung, nicht aber die entscheidende Tatsache. Diese Förderung des Produzenteninteresses kann freilich durch eine Benachteiligung der Konsumenten erkauft sein, falls nämlich dadurch die Preise der hauptsächlichsten Lebensbedürfnisse stärker steigen oder höher gehalten werden als die jeweilige Verdienstmöglichkeit. Wenn, wie im gegenwärtigen Deutschland (von gelegentlichen Schwankungen abgesehen), die Wirtschaftsförderungspolitik geschlossen und erfolgreich ist, wird das Gesamteinkommen des Volkes durch die erhöhte Produktivität stärker steigen als der Preis dieser Lebensbedürfnisse und so Konsumenten- und Produzenteninteresse parallel laufen. Es ist jedoch sehr wohl möglich, dass der Staat das Produzenteninteresse dem der Konsumenten opfert, oder genauer gesprochen, das eines Teils der Produzenten dem eines Teils der Konsumenten; es mögen auch wohl einzelne Produzentengruppen gegenüber anderen zurückgesetzt werden („reine“ Walzwerke gegenüber den gemischten Werken, Konzessionen in Handelsverträgen). Der Staat muss dann entscheiden, welches Interesse das für ihn wertvollere ist. Endlich kann auch eine bewusste Opferung wirtschaftlicher Interessen sowohl aus innerpolitischen Gründen (Vorherrschaft einer Klasse, Mittelstandspolitik) wie aus Rücksichten der äusseren Politik erfolgen (imperialistische Bestrebungen in England).

Die eben in den äussersten Umrissen angedeutete Produzenten- und Produktionsschutzpolitik sucht die allgemeinen Existenzbedingungen für die Wirtschaft oder Gruppen von Wirtschaftenden sicherzustellen oder zu bessern. Daneben hat der Staat schon seit Jahrhunderten eine recht energische direkte Unterstützung einzelner Produktionszweige für eine nicht zu umgehende Aufgabe erachtet: Landeskultur und Gewerbeförderung nehmen auch bei uns keine geringere Stelle ein als einst im Staate Ludwigs XIV. oder Friedrichs des Grossen. Freilich wird im modernen Staate jede direkte Zuwendung an eine Einzelperson nach Möglichkeit vermieden, sondern immer ein grösserer Personenkreis berücksichtigt, wobei am Ende freilich doch

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/130&oldid=- (Version vom 18.7.2021)