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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

die nächsten Mitglieder beschränkt; sie wahrt dem Einzelnen sein Eigentum und das Recht seiner Immaterialgüter; sie gibt ihm die Befugnis, sein Vermögen neu zu gestalten und Verträge nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft zu schliessen, sie gibt ihm die Möglichkeit, sich durch Versprechen zu binden und sich in gewissem Masse seinem Nächsten zu unterwerfen; sie gibt aber vor allem dem Einzelnen die Fähigkeit, durch Gesellschaft und Vereinsbildung über die Schranken des Individuums hinauszugehen und sich Aufgaben zu stellen, denen der Einzelne nicht gewachsen wäre.

Diese rechtsschöpferische Gemeinschaft konzentriert sich, sobald die Staatenbildung sich vollzogen hat, im Staate; wie das Recht früher ein Recht der einzelnen Horden, Geschlechter, Verbände gewesen war, so wird es jetzt ein staatliches Recht. Der Staat übernimmt das Recht nach allen Seiten hin, und er bestimmt es durch seine Gesetzgebung in souveräner Weise. Die rechtsschöpferische Gewalt anderer Mächte muss der des Staates weichen, die Autonomie der übrigen Gemeinschaften wie der Kirche wird auf ihr Gebiet beschränkt, in der Sphäre des allgemeinen Rechts waltet der Staat absolut.

Er weiss auch das Recht zur Durchführung zu bringen und gewährt die Zwangsmittel des Prozesses und die äussersten Mittel des Strafrechtes, damit die Rechtserfordernisse nicht bloss Erfordernisse bleiben, sondern zur Wirklichkeit werden.

Soll dieses staatliche Recht ein absolutes und ausschliessliches bleiben?

Das absolute staatliche Recht erlitt schon früher einige Beschränkung. Man nahm insbesondere an, dass der Staat sich über gewisse Privilegien, welche bestimmten Personen eine sichere Rechtsstellung gewähren, nicht hinwegsetzen dürfe. Hiergegen hat allerdings die Staatsidee seit dem 18. Jahrhundert sich gewehrt, und sie hat hier einen siegreichen Fortschritt zu verzeichnen: der Staat lässt sich heutzutage durch derartige Rücksichten nicht mehr in seiner Gesetzgebung beschränken; er betrachtet es zwar als eine Ehrenpflicht, bestehende Rechte möglichst zu schonen, doch ohne seiner Gesetzgebung bestimmte Schranken aufzuerlegen. Aber eine andere höhere Gewalt sucht sich in der neueren Zeit über den Staat zu legen: es ist das überstaatliche oder Völkerrecht, welches aus völkerrechtlichen Betätigungen, insbesondere aus Staatsverträgen entspringt; denn mehr und mehr dringt die Überzeugung durch, dass solche Staatsverträge nicht bloss die Staaten gegenseitig binden, sondern auch den einzelnen Personen , für welche sie sorgen wollen, ein Recht gewähren, das über der staatlichen Gesetzgebung steht und durch den Staat nicht angetastet werden kann. Man kommt mehr und mehr zur Überzeugung, dass es völkerrechtliche Befugnisse gibt, die den Einzelstaat nicht antasten darf. So muss auch die Souveränität des absoluten Staates vor höheren Mächten kapitulieren.

Auf solche Weise wird auch hier der ewige Satz zur Wahrheit, dass Gemeinschaft und Recht mit einander in nächster Verbindung steht; diese Gemeinschaft wird in ihrer Gewalt lange Zeit durch den Staat mehr oder minder absorbiert, aber immer werden neue Kräfte mächtig werden, welche einen Teil der Rechtsschöpfung an sich ziehen. Auch hier denken wir die Hegelschen Gedanken weiter: ist der Staat zeitweise der Träger der Kultur, so werden doch immer wieder neue Mächte erstehen, welche einen Teil der Rechtsbildung übernehmen. Denn alles ändert sich im Wechsel der Kultur.



Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/143&oldid=- (Version vom 19.7.2021)