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dieser Richtung finden wir bei den Hellenen, von denen uns mehrere sogenannte Asylie- und Isopolitieverträge erhalten sind;[1] in den letzteren, die schon stark an unsere modernen Niederlassungsverträge erinnern, wird den Angehörigen des anderen Vertragsstaates schon nahezu vollkommenes Bürgerrecht verliehen. Ähnlich war die Entwicklung in Rom, wo sich, vom hospitium publicum ausgehend ein internationales Prozess- und Handelsrecht entwickelt hat.[2] Die nationalen Unterschiede der im römischen Weltreich zusammengefassten Völkerschaften blieben aber bis zur Bürgerrechtsverleihung des Caracalla (212) bestehen. Sehr schroff endlich standen die Germanen ursprünglich den Fremden gegenüber; alle germanischen Rechtsverhältnisse gingen von der Familie, dem Stamm aus und wer ausserhalb solcher Genossenschaft stand, war Fremder.[3] Die starke Opposition, die sich namentlich gegen die dauernde Niederlassung von Ausländern hier geltend machte und sich lange Zeit erhalten hat, zeigte sich in verschiedenen Rechtsinstituten, z. B. im sogenannten Wildfangrecht, wonach Fremde, die sich über Jahr und Tag an einem Orte aufgehalten hatten, unfrei wurden.[4] Auch bei den Germanen spielte die zu einem Rechtsinstitut ausgebildete Gastfreundschaft in der Überwindung der Schutzlosigkeit eine grosse Rolle.[5]

Zu Beginn des Mittelalters war zwar eine gewisse Rechtsfähigkeit der Fremden überall anerkannt, aber sie stand meist auf schwachen Füssen und die exklusive Gültigkeit des eigenen Rechts war damit noch nicht beseitigt.[6] Vielmehr tritt jetzt, im Frankenreich zuerst mit der lex Ribuaria[7] mit Konsequenz das Personalitätsprinzip auf, demzufolge der einzelne sein Recht mit sich trug, so dass er im fremden Lande nach eigenem Recht lebte. Dies Prinzip wurde in vielen Staaten zum herrschenden und hat sich vereinzelt bis in die neuere Zeit erhalten.[8] Den Übergang zum modernen Territorialprinzip bildet die sogenannte Statuten-Theorie, die zwar anerkennt, dass die Personen von ihrem Recht ins Ausland begleitet werden, dass aber für die Beurteilung von Handlungen das Recht des Ortes der Handlung, für Sachen die lex rei sitae massgebend sein soll.[9] Die Minderberechtigung der Fremden hatte die Ausbildung eines besonderen Institutes zur Folge, des Königsschutzes;[10] der König wurde in allen Staaten zum Schutzherrn der Fremden, für sie war das Recht des Königs massgebend. Das Recht wurde später zu einem königlichen Regal im vollen Sinne des Wortes und erhielt sich aus finanzpolitischen Gründen noch lange, als von einem wirklichen Schutz schon längst keine Rede mehr war.[11]

§ 2. Das heutige Fremdenrecht.

Nach modernem Völkerrecht ist jeder Staat verpflichtet, die Fremden auf seinem Gebiet zu dulden und zu schützen und ihnen eine gewisse, meist in den Staatsverträgen näher präzisierte rechtliche Stellung einzuräumen.


  1. Cybichowski. A. a. O. Hitzig. Der griechische Fremdenprozess. Zeitschrift der Savigny Stiftung XXVIII. Rom. Abt. Hitzig. Altgriechische Staatsverträge über Rechtshilfe. Szanto. Das griechische Bürgerrecht.
  2. Mommsen. Römisches Staatsrecht III. 1. S. 591. Karlowa. Römische Rechtsgeschichte I. S. 279 f.
  3. Grimm. Deutsche Rechtsaltertümer I. S. 549. Stobbe, Handb. des deutsch. Privatrechts. I. S. 349.
  4. Schröder. Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte. S. 790, 825 Anm. 4. Viollet. Précis de l’histoire du droit français S. 312.
  5. Tacitus. Germania Cap. XXI.
  6. Heusler. Institutionen des deutschen Privatrechts I. S. 144 ff. Brunner. Deutsche Rechtsgeschichte I. S. 399 ff. v. Bar. Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts 1. S. 25 f.
  7. Lex Rib. 31, 3; 61, 2. Die lex Salica kennt den Grundsatz noch nicht. Brunner. A. a. O. I. S. 384. Schröder. A. a. O. S. 228.
  8. Grimm. A. a. O. I. S. 550. Stobbe. Personalität und Territorialität des Rechts und die Grundsätze des Mittelalters über die collisio statutorum in Bekkers und Muthers Jahrbüchern des gemeinen deutschen Rechts. VI. S. 24 ff . Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter (2. Aufl.) S. 118 ff.
  9. v. Bar, a. a. O. I. S. 37 ff.
  10. Brunner, a. a. O. I. S. 400. Heusler, a. a. O. I. S. 145. v. Bar, a. a. O. I. S. 26. v. Frisch. Das Fremdenrecht S. 27, 31 ff. 37 ff.
  11. Über die mittelalterliche Rechtstellung der Fremden im einzelnen und deren Entwicklung in den verschiedenen europäischen Staaten vergl v. Frisch, a. a. O. I. Kap. §§ 2−4 und die dort angegebene Literatur.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/146&oldid=- (Version vom 1.8.2018)