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Anlehnung an das Vorbild Athens, teils in selbständig verlaufender Entwickelung auch die meisten anderen politischen Gemeinwesen Griechenlands beherrschen.[1] Die Entstehung der spartanischen Verfassung, die ihren eigenen Weg geht und neben der athenischen einen eigenartigen Typus darstellt, wird auf das Jahr 754 datiert. Sie hat mit der Verfassung Athens den Ausgangspunkt – die Souveränität des Volkes – gemeinsam, entfernt sich aber von jener, wenn wir von der alten Einrichtung des spartanischen Doppelkönigtums ganz absehen, durch die abweichende Gliederung des Volks und der Ämterorganisation, die schliesslich trotz der Souveränitätsrechte der Vollbürgerschaft die eigentliche Exekutive mit weitestgehenden Machtbefugnissen in die Hand von einigen wenigen Ephoren legt.[2]

III. Die Vielgestaltigkeit der staatlichen Herrschaftsformen, die von der staatsbildenden Kraft des Griechentums in nahem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang erzeugt wurden, legten dem aufmerksamen Beobachter, mochte er nun Historiker, Philosoph, Jurist oder Politiker sein, den Wunsch nahe, eine systematische Gruppierung der verschiedenen Erscheinungsformen der staatlichen Herrschaft unter bestimmten leitenden Gesichtspunkten vorzunehmen. Der erste bedeutsame Versuch dieser Art ist der des Herodot. Er unterscheidet die Staaten darnach, von wem die oberste rechtliche Gewalt im Staate ausgeübt wird – ob unmittelbar von der Gesamtheit der gleichberechtigten Bürger oder von einer engeren Gemeinschaft von Bevorzugten oder von einem Einzigen allein – , in Isonomie, Oligarchie und Monarchie. Herodot vermengt also bei seiner Unterscheidung die beiden Einteilungsprinzipien: Zahl und Qualität der Herrschenden. Die beiden Ausdrücke Basileia und Tyrannis werden von ihm noch promiscue gebraucht.[3] Die Ausdrücke Demokratie und Aristokratie fehlen bei ihm noch. Sokrates gibt nach Xenophons Memorabilien Definitionen des Königtums, der Tyrannis, der Aristokratie, der Plutokratie und der Demokratie, wobei sich indessen eine irreführende Vermischung von rechtlichen und politischen Unterscheidungsmerkmalen zeigt. Das entscheidende Gewicht legt Sokrates hierbei weniger auf die Organisation der Staatsgewalt, als auf die Gesetzmässigkeit der Herrschaftsausübung. Die Basileia und die Tyrannis unterscheiden sich nach seiner Lehre dadurch, dass die erstere eine dem Gesetze entsprechende Herrschaft über Freiwillige, die Tyrannis eine in gesetzwidrigen Massregeln sich ergehende Herrschaft über Unfreiwillige ist. Die Aristokratie bezeichnet Sokrates als die Verfassung, auf Grund deren die Amtsträger vom Volke aus dem Kreise der Gesetzesverständigen und der das Gesetz Erfüllenden bestellt werden; in der Plutokratie dagegen erfolgt deren Bestellung aus dem Kreise der Reichen, in der Demokratie aus der gesamten Bürgerschaft.[4]

Platon stellt der zu seiner Zeit herrschenden Unterscheidung der Staatsformen in Demokratie, Oligarchie, Aristokratie, Basileia und Tyrannis eine Charakterisierung der Herrschaftsformen nach ethischen Gesichtspunkten gegenüber. Das Entscheidende für die Bewertung eines Staates ist für ihn die Gesinnung der Staatseinwohner. „Die einzige, „richtige“ Staatsform ist der Staat der Staatsmänner, der Philosophen“; ihr werden die Timokratie, als die Herrschaft der Besitzenden, die Oligarchie als Geschlechterherrschaft, die Herrschaft der Besitzlosen und die Willkürherrschaft der Tyrannis als entartete Herrschaftsformen gegenübergestellt.[5] Im Gegensatz zu Platon geht Isokrates bei der Unterscheidung


  1. Vgl. v. Wilamowitz, S. 97.
  2. v. Wilamowitz, S. 79 ff. – Vgl. ferner hierher und zum Folgenden K. F. Hermann’s Lehrbuch der Griech. Antiquitäten, hgg. v. Blümner, B I. Staatsaltertümer, 1. u. 2. Abt. hgg. v. Thumser, u. besonders 3. Abt. 6. A. neubearb. v. Swoboda, 1913. – Bezüglich des römischen Kaisertums s. Ludwig Hahn, Das Kaisertum. 1913.
  3. Vgl. Rehm, Geschichte der Staatsrechtswissenschaft (1896) S. 16 ff.
  4. Rehm, G. d. St. R. W., S. 27 ff.
  5. Vgl. Rehm, G. d. St. R. W., S. 30 ff., bes. S. 33. Ich weiche indessen von Rehm’s Darstellung der Platonischen Herrschaftsformen hier insofern ab, als ich in der Timokratie nicht die „dem streitsüchtigen und ehrbegierigen Menschen entsprechende“, sondern die auf dem Besitz (τιμή = Schätzung, Zensus) beruhende Herrschaftsform sehe.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/154&oldid=- (Version vom 20.7.2021)