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der Staatsformen von einem juristischen Merkmal, nämlich von der Zahl der Herrschaftsträger aus, und anerkennt demnach als selbständige Formen nur die Oligarchie, die Demokratie und die Monarchie, während er Aristokratie und Tiniokratie lediglich als Unterformen dieser Verfassungsformen ansieht.[1] Die juristische Einteilung der Staatsformen bei Aristoteles[2] beruht in erster Linie ebenfalls auf dem Zahlenverhältnis der obersten Staatsorgane, sie berücksichtigt daneben aber auch noch andere Momente. Auf Grund des erstgenannten Einteilungsprinzipcs unterscheidet Aristoteles zunächst die drei Staatsformen der Basileia (entsprechend der Monarchie oder Einherrschaft), der Aristokrateia (gleich Herrschaft der besten Bürger) und der Politeia im engeren Sinn (entsprechend der Volksherrschaft oder Demokratie.) Diesen drei Grundformen, welche von ihm als όρϑροί τρόποι bezeichnet werden, weil sie dem Ideale einer Regierungsführung zum gemeinen Nutzen entsprechen, stellt er sodann auf Grund eines rein politischen Einteilungsprinzipes noch drei Abarten oder richtiger Entartungen (παρεϰβάδεις) jener Grundformen zur Seite: die Tyrannis oder Despotie, das ist die unrechtmässig erworbene und in der Regel im selbstsüchtigen Interesse des Alleinherrschers ausgeübte Herrschaft; die Oligarchie, das ist die Herrschaft der besitzenden Klassen zu ihrem Vorteile, und endlich die Demokratie in der spezifischen Bedeutung von Ochlokratie oder Pöbelherrschaft, das ist die Willkürherrschaft der nichtbesitzenden Masse.

Die aristotelischen Grundanschauungen haben, wenngleich mannigfach modifiziert und lange gänzlich verschollen, die Jahrhunderte überdauert und werden auch heute noch vielfach bei der Unterscheidung der Staatsformen zu Grunde gelegt.[3] Dabei wird jedoch zumeist übersehen – oder doch zu gering eingeschätzt[4] – , dass die aristotelische Dreiteilung einen logischen Fehler enthält: sie stellt, obgleich sie bei der Unterscheidung der Verfassungsformen von der Zahl der herrschenden Personen ausgeht, der Einherrschaft zwei Staatsformen gegenüber, welche beide unter den Begriff der Mehrherrschaft fallen. Denn, so gross auch die inneren Unterschiede von Aristokratie und Politie (im Sinne des heutigen Begriffes der Demokratie) sind, so haben doch beide unverkennbar das formale Merkmal gemeinsam, dass sie die Staatsgewalt in die Hand einer unter einem Kollektivbegriff zusammengefassten Personenmehrheit legen. Die formalen Momente aber sind es, welche der rechtlichen Einteilung der Staatsformen zu Grunde gelegt werden müssen. Die konsequente Anwendung des aristotelischen Einteilungsprinzipes kann nicht zur Dreiteilung, sondern nur zur Zweiteilung führen. Der erste Schriftsteller, der diese Notwendigkeit nicht nur empfunden, sondern auch in präziser Weise zum Ausdrucke gebracht hat, ist Machiavelli.[5] Er unterscheidet einfach zwischen monarchischen und nichtmonarchischen Staaten, indem er dem Prinzipate, der fürstlichen Herrschaft, als einzig mögliche weitere Staatsform die Republik, d. i. die Mehrherrschaft, gegenüberstellt.[6] Die Republik hat zwei Unterarten, die Aristokratie (stato d’otimati) und die Demokratie (stato popolare). Ebenso wie Aristoteles ergänzt Machiavelli diese Einteilung der Staatsformen noch durch den Hinweis auf deren Entartungen: die Tyrannis (stato tirannico), die Oligarchie (stato di pochi) und die Ochlokratie (stato licenzioso).


  1. Rehm, G. d. St. R. W., S. 58 ff.
  2. Vgl. hierüber Rehm, G. d. St. R. W., S. 60–130 u. Seydel, Vorträge aus dem Allgemeinen Staatsrecht, Annalen des Deutschen Reichs 1898, S. 482 f.
  3. So von Roscher, Politik, 2. A., 1893, S. 1 ff., Seydel, Vorträge. S. 481 ff. – Bezüglich der Umwandlung der aristotelischen Staatsmorphologie in juristische Kategorien durch Jean Bodin s. v. Martitz, Die Monarchie als Staatsform, 1903, S. 16 f.
  4. So von Seydel, a. a. O. S. 482.
  5. S. namentlich Alfred Schmidt, Niccolò Machiavelli und die Allgemeine Staatslehre der Gegenwart, Freiburg. Diss. 1907, bes. S. 60 ff., Jellinek A. St. L., 2. A, S. 650. 3. A. S. 666.
  6. „Tutti li stati, tutti i dominj, che hanno avuto et hanno imperio sopra gli nomini, sono stati e sono o repubbliche o principati“ (Princ. I, erster Satz; cit. nach Alfred Schmidt S. 61).
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/155&oldid=- (Version vom 20.7.2021)