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IV. Die Zweiteilung Machiavellis ist die einzige Unterscheidung der Staatsformen, welche auf einer einfachen, der juristischen Betrachtung zugänglichen Einteilungsmethode beruht und somit jede Vermengung verschiedenartiger Einteilungsreihen, namentlich aber jedes Werturteil über die einzelnen Staatsformen vermeidet. So wertvoll daher in wissenschaftlicher Beziehung eine Betrachtung der Staaten nach anderen Gesichtspunkten, wie namentlich nach der von Richard Schmidt vorgeschlagenen Methode[1], ist, so empfiehlt es sich doch an dieser Stelle, bei jener Zweiteilung zu bleiben und erst in Unterordnung unter dieses Prinzip anderen Einteilungsgründen Rechnung zu tragen.[2] Dem Ausdrucke nach weiche ich hiebei indessen von den Anhängern der Zweiteilung[3] insofern ab, als ich der Monarchie nicht die „Republik“, sondern die „Pleonarchie“ gegenüberstelle.[4] Die im Anschlusse an Machiavelli in der staatsrechtlichen Literatur üblich gewordene Gleichstellung der Ausdrücke Republik und Mehrherrschaft entspricht m. E. nicht dem allgemeinen deutschen Sprachgebrauch. Der allgemeine Sprachgebrauch[5] versteht unter Republik schlechthin die „Volksherrschaft“ im Gegensatze zur „Einherrschaft“, zur „Monarchie“. Nun ist aber „Volksherrschaft“ nicht der einzige mögliche Gegensatz zur Monarchie. Vor allem ist die Aristokratie, die doch nach der Lehre Machiavelli’s und deren Anhänger unter die Republik zu subsumieren ist, nicht notwendig Volksherrschaft. Deckt sich der Kreis der „Aristokraten“ mit dem Kreise der Vollbürger, wie im alten Sparta, so mag man wohl einmal Aristokratie und Demokratie identifizieren, grundsätzlich aber sind diese beiden Herrschaftsformen nur Unterarten des Oberbegriffes „Mehrherrschaft“. Besonders deutlich wird die Notwendigkeit der begrifflichen Auseinanderhaltung von Republik und Mehrherrschaft bei der Betrachtung von Staatenverbindungen. Unter welche Herrschaftsform soll beispielsweise das Deutsche Reich subsumiert werden? Träger der Reichsgewalt ist die Gesamtheit der verbündeten deutschen Fürsten und der Senate der freien Städte. Sollen wir dieses Kollegium als δήμος und demgemäss das Deutsche Reich als Demokratie oder als Republik bezeichnen? Sollte es wirklich, wie Jellinek[6] annimmt, nur die „Scheu vor einem Worte“ sein, welche Zorn, Gareis, G. Meyer, Geffcken u. A. daran hindert, das Deutsche Reich nach dem Vorbilde Jellineks unter den Typus der Republik zu stellen? Ich schätze die Versuche, das Deutsche Reich als Pleonokratie oder als Aristokratie oder auch als Oligarchie zu erklären, höher ein. Es ist richtig: „Pleonokratie“ ist nichts anderes als „ein neues Wort für eine alte Sache“. Aber ist der Vorwurf so schlimm? Ist es nicht schlimmer, ein altes, früher zur Bezeichnung jedes staatlichen Gemeinwesens dienendes Wort, wie das Wort „Republik“, nun für eine neue Sache, nämlich zur Bezeichnung einer ganz bestimmten Unterart von Staatswesen zu benützen? Die Ausdrücke Pleonokratie und Pleonarchie geben nicht mehr aber auch nicht weniger als eine richtige, eindeutige Übersetzung des Ausdruckes Mehrherrschaft im Gegensatze zur Einherrschaft; der Ausdruck Republik dagegen wurde – selbst wenn wir von seiner ursprünglichen allgemeinen Bedeutung[7] absehen – auch noch von Machiavelli in mehrfachen Bedeutungen angewandt[8] und er dient nach dem heutigen Sprachgebrauch, dem sich auch der Jurist und Politiker m. E. nicht einfach entziehen kann, offensichtlich nicht zur Bezeichnung der Mehrherrschaft schlechthin, sondern nur zur Bezeichnung der Volksherrschaft.


  1. Richard Schmidt, Allgemeine Staatslehre, I. Band, 1901, S. 259 ff., bes. S. 263, II. B., II. Teil 1903, S.833 ff., bes. S. 839.
  2. Dabei muss allerdings die unendliche Fülle der verschiedenartigsten Einteilungen, wie sie beispielsweise bei Schvarcz, Elemente der Politik, 1895, S. 79 ff. zu finden ist, grösstenteils unberücksichtigt bleiben
  3. So z. B. v. Haller, Restauration der Staatswissenschaft (1816) I, S. 494 ff.; v. Martitz, Die Monarchie als Staatsform, 1903, S. 4 f.; Jellinek, A. St. L., 2. A. S. 649 ff, 3. A. S. S. 665 ff.
  4. Vgl. auch Gareis, Rechtsenzyklopädie, 2. A. 1900, S. 143.
  5. Ebenso anscheinend v. Martitz, S. 6.
  6. Allg. St. L. 2. A. I, S. 695, 3. A. S. 712.
  7. Republik bedeutet „Gemeinwesen“ schlechthin, vgl. Jellinek, S. 693 (710).
  8. S. Adolf Schmidt, S. 61.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/156&oldid=- (Version vom 21.7.2021)