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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Daher soll im folgenden von der Einteilung der Herrschaftsformen in Einherrschaft und Mehrherrschaft ausgegangen werden;[1] in Unterordnung unter diese beiden Grundformen der Staatsverfassung wird eine weitere Unterscheidung in verschiedenerlei Unterformen stattfinden. Dabei ist allerdings stets im Auge zu behalten, dass die hier aus Zweckmässigkeitsgründen gewählte herkömmliche Unterscheidung der Staaten nach Zahl, Art und Stellung ihrer Herrschaftsorgane notwendigerweise etwas Unvollkommenes und Einseitiges an sich hat und der unter anderen Umständen sehr berechtigten Forderung nach der Darstellung von historischen „Staatscharakteren oder Staatsindividualitäten“[2] nicht zu genügen vermag.

Besonders deutlich tritt dieser Mangel hervor bei der Betrachtung der Staatenverbindungen, die so ausserordentlich grosse Verschiedenheiten zeigen und gleichwohl unter die beiden Herrschaftsformen der Einherrschaft und der Mehrherrschaft subsumiert werden müssen. Dabei sind die im folgenden aufgestellten Unterscheidungsmerkmale anzuwenden, politische Gesichtspunkte aber auszuschalten. Wir werden also das Deutsche Reich beispielsweise als Mehrherrschaft bezeichnen müssen, auch wenn wir überzeugt sind, dass das Wesen des Deutschen Reiches im stärksten Masse von dem monarchischen Prinzips beherrscht ist,[3] und wenngleich wir wissen, dass die Träger der Reichsgewalt in ihrer überwiegenden Mehrzahl die Eigenschaft von Monarchen haben.[4]

A. Die Einherrschaft.

1. Das Wesen der Monarchie.

Die Monarchie oder Einherrschaft ist diejenige Herrschaftsform, bei welcher die Staatsgewalt einer einzelnen physischen Person[5] zusteht, deren Willen sich dem Rechte nach als der höchste vom Staate ausgehende Wille darstellt. Unwesentlich ist dabei, ob die dem Monarchen zustehende Herrschaftsbefugnis auf eigenem Rechte des Monarchen beruht oder von einem Dritten abgeleitet ist.[6] Unwesentlich ist auch, ob der Staat mit anderen Staaten verbunden, ob er einem anderen Staate untergeordnet ist oder ob er sich im Besitze der Souveränität befindet. Das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses schränkt zwar den Staatswillen des Unterstaates als solchen ein, lässt aber die Tatsache unberührt, dass der Staatswillen sich in der Monarchie mit dem Herrscherwillen deckt und dass sich somit der Herrscherwille als der höchste vom Staate selbst ausgehende Willen darstellt. Ebenso wie die von Napoleon I. geschaffenen Könige von Westfalen, von Holland, von Neapel usw. zweifellos die Eigenschaft von Monarchen hatten, obwohl ihnen kein eigenes Recht auf ihre Stellung zustand, ebenso sind auch die Landesherren der deutschen Einzelstaaten stets als Monarchen angesehen worden, obwohl das Fehlen der Souveränität mit Recht geradezu als „die historische Eigenart des deutschen Einzelstaates“[7] bezeichnet wird.


  1. S. dagegen Bernatzik, Republik und Monarchie, 1892, S. 5 f.
  2. S. hierüber Richard Schmidt, II. 2, S. 838 ff.
  3. Wenn Otto Mayer in seiner vortrefflichen, die juristische und die politische Betrachtungsweise scharf auseinanderhaltenden Abhandlung „Republikanischer und monarchischer Bundesstaat“, Arch. f. öff. R. VXIII, S. 338 das Deutsche Reich als „die echteste, vollsäftige Monarchie, welche die heutige Kulturwelt aufweist“, bezeichnet, so ist dies, wie der Zusammenhang unverkennbar zeigt, ausschliesslich im politischen Sinn zu verstehen.
  4. S. unten sub B, 2, a. Bezüglich der Herrschaftsform der Vereinigten Staaten von Amerika s. unten sub B, 2, b, β.
  5. Als dem „Träger der Staatsgewalt“.
  6. A. M. Bernatzik, S. 26 ff., Treitschke, Politik, B. II., S. 53. – Nach der geschichtlichen Erfahrung muss es allerdings als die Regel bezeichnet werden, dass sich die monarchische Gewalt ausserhalb des Staates und der staatlichen Rechtsordnung entwickelte und ihren Anspruch auf die Staatsgewalt demnach auf eigenes Recht stützte. Gleichwohl ist das Bestehen eines derartigen eigenen, ausserstaatlichen oder über staatlichen Anspruchs auf die Herrschaft im Leben der Staaten niemals als eine begriffliche Voraussetzung der Monarchie anerkannt worden.
  7. So Anschütz, Deutsches Staatsrecht, i. Enzyklopädie der Rechtswissenschaft hgg. v. Holtzendorff-Kohler, II. (1904) S. 471.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/157&oldid=- (Version vom 21.7.2021)