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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Die Tatsache, dass der Monarch es ist, dem – unbeschadet der tatsächlichen Machtverteilung[1] und unbeschadet der ihn rechtlich beschränkenden Zuständigkeiten anderer Staatsorgane – in der Einherrschaft die höchste rechtliche Macht zusteht, äussert sich namentlich in der Geltung folgender Grundsätze:

Der Monarch ist das Oberhaupt des Staates und vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt, er ist der Ausgangspunkt aller staatlichen Funktionen, er ist – und zwar auch im konstitutionellen Staat – der Träger der Gesetzgebung, der Träger der Verwaltung und der Träger der Rechtsprechung. Daran hat auch die vielgeschmähte Gewaltenteilung, so wie sie ihrem wahren Wesen gemäss in den einzelstaatlichen Verfassungen Deutschlands verwirklicht worden ist, nichts geändert.[2] Auf dem Gebiete der Gesetzgebung zeigt sich die höchste Gewalt des Monarchen namentlich darin, dass – soferne er nicht überhaupt das einzige und unbeschränkte Gesetzgebungsorgan ist – ohne seine Zustimmung kein Rechtssatz erlassen, abgeändert, authentisch interpretiert oder aufgehoben werden kann. Der Monarch erteilt den Gesetzesbefehl: „Ita lex esto“, er ist – auch im konstitutionellen Staate – der Gesetzgeber. Auf dem Gebiete der Exekutive äussert sich das absolute Übergewicht der organischen Stellung des Monarchen im Staate insbesondere darin, dass in seiner Hand alle Fäden der Verwaltung zusammenlaufen: Er leitet den Vollzug der Gesetze, er ernennt und entlässt die übrigen Staatsorgane, er erteilt den Beamten und Behörden des Staates ihren Amtsauftrag, er verwaltet die Machtmittel des Staates, er erlässt die Kriegserklärung und befiehlt den Friedensschluss. Auf dem Gebiete der Rechtsprechung tritt die höchste Gewalt des Monarchen vor allem dadurch zutage, dass die Urteilsfällung im Namen des Monarchen und durch vom Monarchen angestellte oder berufene Richter erfolgt. Am deutlichsten äussert sie sich selbstverständlich im absoluten Staat, wo der Monarch grundsätzlich als oberster Richter funktioniert und wo das Eingreifen der Kabinettsjustiz in die Rechtsprechung eine gesetzmässige Massnahme ist. Sie ist aber auch im konstitutionellen Staate insolange gegeben, als die vorgenannten Tatsachen zutreffen.

Wo die geschilderte Vereinigung aller Gewalten in der Hand des Staatsoberhauptes dem Rechte nach nicht mehr besteht, wo also beispielsweise, wie nach der französischen Verfassung vom 3. September 1791, die verfassungsändernden Beschlüsse der gesetzgebenden Körperschaft der Sanktion des Herrschers entrückt sind, da ist rechtlich und tatsächlich keine Einherrschaft, sondern eine Mehrherrschaft vorhanden.[3] Im übrigen sind natürlich mancherlei kleine Abweichungen von dem Normalfall möglich, ohne den Typus der Monarchie als solchen zu vernichten. Hierher gehören namentlich die verfassungsmässigen Einschränkungen des Alleinherrschers auf dem Gebiete der Exekutive, wie z. B. das Erfordernis der ministeriellen Gegenzeichnung, Vorschlagsrecht des Parlaments bei gewissen Beamtenernennungen, Beschränkungen des landesherrlichen Organisationsrechts durch die budgetrechtlichen Befugnisse der Volksvertretung u. s. w., sofern sie nur die den Staat in Bewegung setzende und in Bewegung erhaltende Tätigkeit des Monarchen nicht für einzelne Gebiete des staatlichen Willens völlig ausser Funktion setzen.

Neben den obengenannten Merkmalen der Einherrschaft wird vielfach auch die Lebenslänglichkeit der Monarchenwürde als ein Essentiale der Monarchie bezeichnet. Mit Unrecht! Gibt schon der Begriff der Einherrschaft, als Gegensatz zur Mehrherrschaft verstanden, keinerlei Anhalt zu einer derartigen Forderung, so bietet auch das tatsächliche Leben der Staaten keinen Anlass, die Lebenslänglichkeit der Monarchenstellung als ein


  1. S. in dieser Beziehung Piloty, Autorität und Staatsgewalt, 1905 (S. A. aus d. Jahrbuch der Internationalen Vereinigung f. vergl. Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre zu Berlin, VI. u. VII. Bd.).
  2. In der Verwirklichung dieser Grundsätze prägt sich das monarchiche Prinzip im rechtlichen Sinne dieses Wortes aus. – Noellner, das monarchische Prinzip und die deutschen Staatsverfassungen der neueren Zeit, 1856, fasst jenes Prinzip wesentlich im einseitigen politischen Sinne auf. Bezüglich des Wesens der Gewaltenteilung vgl Anschütz, a. a. O., S. 476, Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, I (1895) S. 67 ff. – A. M. Jellinek, A. St. L. S. 666 (682).
  3. Vgl. Jellinek, S. 668 (684).
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/158&oldid=- (Version vom 21.7.2021)