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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

ihm hierfür obliegende Verantwortlichkeit übernimmt.[1] – Auf die Tätigkeit der übrigen Staatsbehörden ist der Monarch in allen denjenigen Fällen angewiesen, für welche gesetzmässige Zuständigkeitsbestimmungen und geordnete Verfahrensvorschriften bestehen. Hierher gehören namentlich alle Angelegenheiten der Rechtsprechung,[2] sowie – was vielfach nicht genügend betont wird – beinahe sämtliche Angelegenheiten der Verwaltung, und selbstverständlich alle, dem Landesherrn nicht ausdrücklich zugewiesenen Angelegenheiten der Rechtssetzung.

Das natürliche Korrelat der originären, nur in einzelnen bestimmten Richtungen eingeschränkten Machtstellung des Landesherrn ist die Beschränkung der Volksvertretung auf die ihr speziell übertragenen Zuständigkeiten. Die Vermutung der Zuständigkeit spricht im Zweifelsfall für den Monarchen und gegen das Parlament.[3] Die juristische Formulierung dieses Grundsatzes kommt besonders in der Mehrzahl der süddeutschen Verfassungen zum präzisen Ausdruck; so z.B. in der hessischen Verf., Art. 66, welche bestimmt: „Die Stände sind nur befugt, sich mit denjenigen Gegenständen zu beschäftigen, welche die nachfolgenden Artikel zu ihrem Wirkungskreis verweisen.“ Andere Verfassungen, wie die württembergische (§ 124), die Kgl. sächsische (§ 84 ff.) und die preussische (Art. 62 ff.) begnügen sich damit, dieses Prinzip durch kasuistische Aufzählung aller Einzelzuständigkeiten der Volksvertretung zur Geltung zu bringen. Dabei ist aber noch besonders auf die Tatsache hinzuweisen, dass in den meisten monarchisch-konstitutionellen Staaten die Parlamente ihre Tätigkeit grundsätzlich nur mit Genehmigung des Monarchen beginnen dürfen und dass sie niemals in der Art selbständig handelnder Staatsorgane irgendwelche die Staatsbewohner oder die Staatsbehörden verpflichtenden Beschlüsse fassen können. Sie sind, soweit auch ihre Zuständigkeiten gehen mögen, in bezug auf Beginn, Fortführung und Beendigung ihrer Funktionen von dem nur durch die Verfassung gebundenen Willen des Herrschers beschränkt. – Die wesentlichste Kompetenz unserer deutschen Parlamente ist, wie schon erwähnt, ihre bestimmende Mitwirkung bei dem Zustandekommen von Gesetzen. Wenn auch der Satz feststeht, dass nur der Monarch es ist, der den Gesetzesbefehl erteilt, so haben doch die deutschen Volksvertretungen regelmässig (wenngleich nicht von Anbeginn an) ebenso wie der Landesherr das Recht der Gesetzesinitiative und von jeher das Recht der Mitwirkung bei der Feststellung des Gesetzesinhaltes, und sie können, ebenso wie er, jeden Gesetzentwurf durch ihr Veto zu Fall bringen. Auf dem Gebiete der Verwaltung sind es namentlich die budgetrechtlichen Befugnisse der Parlamente, welche diesen einen ausserordentlich starken Einfluss auf die Krone geben. Von besonderer Bedeutung sind jene Befugnisse in denjenigen Staaten, welche – wie z. B. Preussen – ihr Budgetrecht nach dem Muster des französisch-belgischen, auf dem Boden der Volkssouveränität entstandenen Etatsrecht gestalteten und dadurch den Boden des monarchischen Prinzips unbewusst verliessen, während die übrigen Staaten – so besonders die süddeutschen – auf der Grundlage des altständischen Steuerbewilligungsrechts weiterbauten.[4] Zu diesen Kompetenzen kommt noch die den deutschen Parlamenten überall zustehende Kontrolle der Staatsverwaltung. Sie äussert sich namentlich in der Befugnis zur


  1. Ob ein Minister die Verantwortlichkeit übernehmen will oder nicht, ist Sache seiner freien Entschliessung. Der Befehl der Krone vermag ihn, wenn er die Verantwortung übernommen hat, gegenüber dem Parlamente nicht zu entlasten. A. M. Bornhak, S. 42; vgl. dagegen Hintze, S. 404 f. S. auch die in Anm. 41 angegebene Literatur.
  2. Obwohl der Landesherr nicht mehr das Recht hat, in eigener Person zu richten, ist die richterliche Tätigkeit dem Willen des Monarchen doch nicht gänzlich entrückt. (A. M. Jellinek S. 661.) Wenn er auch nicht mehr befehlen kann „ita jus esto“, so ist er es doch, der den Befehl gibt „jus esto“, der die Richter einsetzt und zur Ausübung ihrer richterlichen Funktionen anhält, und in dessen Namen geurteilt wird.
  3. So die Schriftsteller der verschiedensten Richtungen, z. B. Jellinek S. 688 (705); Seydel, Bayr. Staatsrecht, Neubearbeitung von Grassmann-Piloty, B. I, bearb. v. Piloty. S. 217.
  4. Vgl. hierzu u. a. van Calker, Badisches Budgetrecht I, 1901 S. 4; Buchenberger, Finanzpolitik und Staatshaushalt im Grossherzogtum Baden, 1902,8. 5 ff., van Calker, hess. Verfassungsgesetze, 1906, S. 76 ff.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/164&oldid=- (Version vom 25.7.2021)