Seite:Handbuch der Politik Band 1.pdf/247

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

der Selbstregierung der Regierten. Und so liegt die grosse Bedeutung der Gemeinde für die Zukunft des Gemeinwesens eben darin, dass sie in der Lage ist zu sozialisieren, ohne die einzelne Persönlichkeit auszuschalten, dass sie in der Lage ist, an die Stelle einer bürokratischen Regierungsmaschinerie eine lebendige Verwaltungstätigkeit zu setzen. Eine richtig orientierte Kommunalpolitik wird daher in erster Linie darauf sehen müssen, den Gedanken der Selbstverwaltung in dem eben angegebenen Sinne zu möglichster Vollendung zu bringen, aber auch weiterhin die Selbstverwaltung in dem anderen Sinne zu wahren, dass die Gemeinde in ihrer gesetzgeberischen und Verwaltungstätigkeit von der Staatsverwaltung nicht gegängelt oder gar unterdrückt werde. Die Kommunalpolitik wird zwar stets unter der Aufsicht der Staatsverwaltung in die Wirklichkeit umgesetzt werden müssen, aber die besondere Bedeutung der Kommunaltätigkeit würde mit dem Augenblick verschwinden, wo die Staatsaufsicht zu einer Bevormundung der Gemeinden würde. Denn dann würde eben jene besondere Stellung des Einzelnen zur Verwaltung beseitigt werden, kraft deren er in der Gemeinde seine eigenen Angelegenheiten selbst verwaltet.

Was die Aufgaben der Kommunalpolitik im einzelnen betrifft, so wird jeder der Kommunalverbände zunächst bestrebt sein müssen, das Gebiet richtig abzugrenzen, und zwar unter dem Gesichtspunkte, dass es sich um einen Verband handelt, der durch eine Interessengemeinschaft zusammengehalten wird. Diese Interessengemeinschaft wird zumeist historisch begründet sein und ihren Ausdruck in einer historischen Rechtsgemeinschaft gefunden haben; es können aber auch neue Interessengemeinschaften nach neuer Verbindung drängen und in einen Widerspruch treten zu historisch gewordenen Organisationen; es kann sich ergeben, dass ein grösserer Bezirk überwiegend landwirtschaftlicher Art sich isoliert findet in einem industriellen Kommunal-Verbande, während benachbart andere landwirtschaftliche Bezirke liegen, mit denen er sich näher verbunden fühlt als mit den Orten, die jetzt einen gemeinschaftlichen Bezirk mit ihm bilden. Häufig genug auch wird sich ergeben, und die riesenhafte Entwicklung unserer Grossstädte zeigt diese Erscheinung in immer neuen Formen, dass ländliche Bezirke von städtischen Bezirken wirtschaftlich aufgesogen werden, so dass notwendig der städtische Bezirk nach einer rechtlichen Vereinigung mit dem Vororte drängt. Häufig auch wird sich zeigen, dass kommunale Aufgaben, die von einem einzelnen Gemeinwesen nicht hinreichend erledigt werden können, erst in einem grösseren Verbande für mehrere gemeinschaftlich besorgt werden müssen. Die Entwicklung des Verkehrswesens, die Entwicklung des Beleuchtungswesens, ja sogar die Entwicklung der Hygiene können dahin führen, dass kommunale Verbände sich zweckmässig zu einem grösseren Verbande zusammenschliessen, um bestimmte Aufgaben zu erledigen. Ihnen diese Möglichkeit zu gewähren, ist eine Aufgabe der staatlichen Gesetzgebungspolitik, die gewährte Möglichkeit richtig zu benutzen, ist die Aufgabe einer richtig geleiteten Kommunalpolitik. Dabei darf aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass eben der Gedanke, der überhaupt die Selbständigkeit der Gemeinden und anderer Kommunalverbände rechtfertigt, dahin führen muss, nach Möglichkeit die bestehenden Gemeinwesen in ihrer Selbständigkeit zu schonen, und dass nicht ein blindes Streben nach Schaffung möglichst grosser Verbände dahin führen darf, Werte zu vernichten, die in der kommunalen Organisation des einzelnen Gemeinwesens vorhanden sind.

Unter den Interessen, die zu einer kommunalen Vereinigung zwingen können, stehen im Vordergrunde solche der Bodenpolitik, d. h. die Interessen der Gestaltung des Verhältnisses der Gemeinde zu dem Grund und Boden, auf dem ihre Einwohner heimisch sind. Die Bodenpolitik der Gemeinden wird diktiert von zwei Rücksichten. Zunächst von der Rücksicht auf die Unterbringung ihrer Einwohner, die Wohnungsfrage, und sodann von der Rücksicht auf die Steuerkraft ihrer Einwohner, die Finanzfrage. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Aufgabe der Besiedlung des Grundes und Bodens, da es sich bei der Gemeinde um eine gemeinschaftliche Besiedlung handelt, schlechthin zu den Gemeindeaufgaben gehört. Die Besiedlung kann in einer den öffentlichen Interessen dienenden Art nur dann ausgeführt werden, wenn die Anlegung der erforderlichen Strassen und Plätze

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/247&oldid=- (Version vom 30.7.2021)