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ihre Spitze zumeist gegen die monarchische Staatsform gekehrt: teils direkt, als Forderung, Behauptung, Verherrlichung der Republik, teils wenigstens gegen den fürstlichen Absolutismus, das persönliche Regiment, den Scheinkonstitutionalismus u. dgl. Durch Ausdehnung bürgerlicher Freiheit ist das Verlangen nach politischer oft gedämpft worden.

A. Bürgerliche Freiheit ist die Freiheit der Person und ihrer Betätigungen, die dem Bürger vom Staate gelassen oder sogar ausdrücklich durch Gesetze garantiert und geschützt wird. Die Freiheit der Person ist a) allgemeine persönliche Freiheit in bezug auf alle anderen Personen, b) spezielle bürgerliche Freiheit in bezug auf den Staat. Die Freiheit des nicht erzwungenen und nicht gehemmten Handelns, worin diese besteht, zerfällt in zwei grosse Hauptkategorien: aa) die Freiheit der ökonomischen Betätigung; bb) die Freiheit der geistigen Betätigung. Zwischen beiden steht eine Betätigung, die einen politischen oder wenigstens quasi-politischen Charakter hat, wie denn auch die ökonomischen und die geistigen Betätigungen sich an vielen Punkten damit berühren; das ist die Freiheit der Assoziation, d. i. der Versammlung und namentlich der Vereinigung für irgend welche Zwecke, unter denen der Natur der Sache nach die politischen Zwecke das Staatsleben am nächsten berühren, so dass an dieser Stelle die bürgerliche Freiheit im Begriffe steht, in die politische Freiheit überzugehen und sich am engsten mit ihr berührt: diese Art der bürgerlichen Freiheit kann daher auch als staatsbürgerliche Freiheit ausgezeichnet werden. Freiheit in jedem Sinne ausser der allgemeinen persönlichen Freiheit besteht aus einzelnen Freiheiten, die im Verhältnis zum Staate Rechte bedeuten und alle auf der Voraussetzung jener (der persönlichen Freiheit oder der freien Persönlichkeit) beruhen; diese Rechte aber haben zunächst ihre Geltung nur im Privatrecht, wenn sie auch aus öffentlichem Rechte sich ableiten. Dagegen gehören die politischen Freiheiten unmittelbar dem öffentlichen Rechte an; sie sind subjektive öffentliche Rechte im engeren Sinne (wenn auch die bürgerlichen Freiheitsrechte als solche begriffen werden).

Bürgerliche sowohl als politische Freiheit kann verstanden werden als Freiheit der Korporationen oder als Freiheit der Individuen. Die individuelle Freiheit der Assoziation berührt sich mit der bürgerlichen Freiheit, deren Korporationen sich erfreuen, und diese betätigt sich in ihrer Autonomie. Wenn gleich ihrem Ursprünge nach genossenschaftliches Recht, erscheint sie vom Staate als Zentralgewalt aus als konzediertes Privileg. Die Teilnahme von Korporationen (etwa als Ständen) an der Zentralregierung ist ihre politische Freiheit; an ihr war ehemals die herrschende Aristokratie, geistliche und weltliche, vorzugsweise beteiligt. Im modernen Staate, wie er infolge der französischen Revolution sich entwickelt hat, sind diese „Libertäten“ mehr und mehr zurückgetreten, wenn auch nicht überall verschwunden. Bürgerliche wie politische Freiheit wird im modernen Sinne wesentlich als individuelle Freiheit verstanden. Nur in der „Selbstverwaltung“ kehrt ein Stück der politischen Freiheit der Individuen als bürgerliche Freiheit von Gemeinden und anderen Körperschaften wieder. Insofern als diese aus der Staatsgewalt abgeleitet werden kann, liegt auch hier eine Teilnahme an der Souveränität des Staates vor.

1. In der Voraussetzung der persönlichen Freiheit der Individuen, also in dem Gegensätze gegen Sklaverei, Leibeigenschaft, Hörigkeit liegt der stärkste Zusammenhang des Postulats der Freiheit mit dem der Gleichheit: die unmittelbare Beziehung aller Individuen auf den Staat involviert die Gleichheit aller vor der Staatsgewalt, also vor dem Gesetze. Die Gleichheit bedeutet in erster Linie gleichen Schutz jeder Person gegen jede andere Person, gleiches „Recht“ für alle. Zur Person gehört ihre Habe und ihre Ehre. Der Korn aller bürgerlichen Freiheit ist, ihrer Idee nach, dass der Staat um der Individuen willen, um ihre „Rechte“ in bezug auf einander mit seiner Macht geltend zu machen, da sei; Ausdruck dafür die Lehre, dass die Menschen den Staat durch Verträge begründet „haben“ (ausserzeitlich: begründen). Diese Lehre beruht in der Erkenntnis, dass der Staat notwendig die natürliche Freiheit einschränkt; auch so gestaltet, dass die Individuen, wenn sie in den Staat eintreten, gewisser ursprünglicher Rechte sich entäussern (vor allem des

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/262&oldid=- (Version vom 31.7.2021)