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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Im Polizeistaate des 18. Jahrhunderts fand diese Lehre trotz der freiheitlichen Lehre der Verfassung der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika von 1789 allgemeinen gesetzgeberischen Ausdruck, ja sogar in England fand die bisherige freiheitliche Auffassung durch die Gesetze vom Jahre 1795 und 1799 ihr vorläufiges Ende.

Das preussische Allgemeine Landrecht vom Jahre 1794 hatte sehr verklausulierte Bestimmungen in Teil I Tit. 17, §§ 169 ff. und Teil II Tit. 6. Dasselbe unterschied zwischen Gesellschaften, die ausschliesslich auf einen Vermögensanteil ihrer Mitglieder gerichtet waren und den anderen. Die letzteren sind, sofern ihr Zweck und ihre Tätigkeit der gemeinen Ruhe, Sicherheit und Ordnung nicht zuwiderlaufen, auch ohne Genehmigung erlaubt. Geheime Verbindungen bedürfen der Genehmigung. Aber der Staat hatte auch bezüglich der anderen das Recht der Auflösung, wenn sie anderen gemeinnützigen Absichten oder Anstalten hinderlich oder nachteilig sind. War der Verein ausdrücklich genehmigt, so kann er nur aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls und gegen hinlängliche Entschädigung aufgehoben werden, falls seine Mitglieder nicht eines groben Missbrauchs der Genehmigung zum Schaden des Staats oder anderer Personen durch gerichtliches Erkenntnis schuldig befunden worden sind. Diese an sich unklaren und bestrittenen sog. Freiheiten wurden durch das Edikt vom 20. Okt. 1798 noch weiter beschnitten, das alle Vereine verbot, welche die Beratung politischer Angelegenheiten bezweckten oder in welchen unbekannten Oberen Gehorsam oder bekannten Oberen unbedingter Gehorsam versprochen wird, sowie solche, deren Mitglieder zur Verschwiegenheit über Vereinsangelegenheiten sich verpflichteten. In der Reaktionszeit (1816) wird das Edikt auf die ganze preussische Monarchie ausgedehnt. Das war bis zum Jahre 1848 der wesentliche Standpunkt in fast allen deutschen Staaten – Baden, Württemberg und Sachsen-Meiningen ausgenommen.

(Das bisherige Landesrecht sowie das Recht des Auslands, vor allem Frankreichs, Englands, Österreichs usw. s. Staatswörterbuch 2. Aufl. Bd. VII den Aufsatz von Loening sowie insbesondere des Verfassers Kommentar S. 321 ff., 334–367 ff.)

Der Beschluss des Bundestags vom 5. Juli 1832 verbot alle politischen Vereine; jede öffentliche Versammlung bedurfte der vorherigen Genehmigung. Die Grundrechte des deutschen Parlaments vom Jahre 1848 räumten mit dieser reaktionären Gesetzgebung vorläufig und vorübergehend auf. Jeder Deutsche sollte das Recht haben, ohne vorherige Genehmigung sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln und Vereine zu bilden. Nur Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr für die offentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden (Art. 8; Reichsverfassung von 1849 §§ 161 und 162).

Die seit dem Jahre 1848 erlassenen Verfassungsurkunden enthalten, in verschiedener Formulierung und mit verschiedenen Abänderungen, meist den im Artikel VII der Grundrechte des deutschen Volkes ausgesprochenen Grundsatz der Vereins- und Versammlungsfreiheit. Die älteren Vereinsgesetze erkannten diesen Grundsatz in ihrer Mehrzahl ausdrücklich an, verfolgten daneben aber den Zweck, einen Missbrauch des Vereins- und Versammlungsrechts zu verhüten. In gleicher Richtung suchte die deutsche Bundesversammlung durch Beschluss vom 13. Juli 1854 die Einführung übereinstimmender Grundsätze für das Vereins- und Versammlungsrecht zu bewirken.

Diese Absicht wurde indessen nur unvollständig erreicht. In vielen Bundesstaaten blieb der Bundesbeschluss unausgeführt, andere sind von den bereits eingeführten Grundsätzen wieder zurückgetreten, und selbst in denjenigen Staaten, deren Gesetzgebungen jene Grundsätze zur Richtschnur genommen haben, stimmten die Einzelheiten nicht überein.

Bei einer so verschiedenartigen Gestaltung des Rechtszustandes war das Bedürfnis einer einheitlichen Regelung des Vereins- und Versammlungswesens nicht zu verkennen.

Die Versuche, das Vereins- und Versammlungswesen nach seiner öffentlichrechtlichen Seite hin einheitlich für den Umfang des Reichs zu gestalten, hatten daher bald nach Gründung des neuen deutschen Reichs eingesetzt.

Aus Anlass einer die mecklenburgischen Verhältnisse betreffenden Petition (Drucksachen des deutschen Reichstages 1. Legislaturperiode, 111. Session 1872, Nr. 40) beschloss der Reichstag (StenB. 1872 S. 289) auf Antrag der Kommission für Petitionen:

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/273&oldid=- (Version vom 1.8.2021)