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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

„Die Petition dem Bundesrate zur Berücksichtigung mit dem Ersuchen zu überweisen, tunlichst beschleunigt dem Reichstag in Ausführung der Bestimmung des Artikel 4 sub 16 der Reichsverfassung einen das Vereinswesen regelnden Gesetzentwurf zur Beschlussfassung vorzulegen.“

Diese Resolution hat der Bundesrat unter dem 9. Juni 1872 (334 der Protokolle) dem Reichskanzler als Material für eine etwaige das Vereinswesen regelnde Gesetzgebung überwiesen.

Unterm 4. April 1873 legten die Abg. Wiggers und Gen. dem Reichstage den Entwurf eines Gesetzes über Vereine und Versammlungen vor. (Drucks. 1. Legisl. IV. Session 1873 Nr. 30.) Den genauen Inhalt jenes Entwurfs und sein Schicksal s. des Verfassers Kommentar S. 2 ff., ebendort die späteren Versuche des Abs. Anker und Rickert und Gen. (1895), Auer und Gen. (1896).

Nach wechselvollen Schicksalen und schweren Kämpfen wurde am 11. Dezember 1899 wenigstens das Verbot der Verbindung politischer Vereine aufgehoben. Inländische Vereine jeder Art dürfen sohin mit einander in Verbindung treten. Entgegenstehende landesgesetzliche Bestimmungen sind aufgehoben. (R. G. Bl. S. 699.)

Auch sonst hat das Reich, das nach Art. 4 Nr. 16 der Verfassung von Anfang an zuständig für die Beaufsichtigung und die Gesetzgebung des Vereins- und Versammlungswesens war, von seiner Zuständigkeit auf diesem Gebiete durch den Erlass einzelner Bestimmungen Gebrauch gemacht. Es kommen vor allem in Betracht:

1. der Artikel 68 der Reichsverfassung, wonach für den Umfang des Reichs mit Ausnahme von Bayern (Bündnisvertrag vom 23. November 1870 unter III § 5, Reichsverfassung, Schlussbestimmung zum XI. Abschnitte) nach Massgabe der Vorschriften des preussischen Gesetzes vom 4. Juni 1851 (Gesetzsamml. S. 451), wenn die Sicherheit in dem Bundesgebiete bedroht ist, durch Erklärung des Kriegszustandes die Bestimmungen der Vereinsgesetze zeit- und distriktweise ausser Kraft gesetzt werden können;
2. § 17[1] des Wahlgesetzes für den deutschen Reichstag vom 31. Mai 1869 (BGBl. 1869 S. 145, RGBl. 1873 S. 163), wonach die Wahlberechtigten das Recht haben, zum Betriebe der den Reichstag betreffenden Wahlangelegenheiten Vereine zu bilden und in geschlossenen Räumen unbewaffnet öffentliche Versammlungen zu veranstalten;
3. das Reichsgesetz, betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu, vom 4. Juli 1872 (RGBl. S. 253), wonach dem Orden der Gesellschaft Jesu und den ihm verwandten Orden und ordensähnlichen Kongregationen die Errichtung von Niederlassungen im Gebiete des Deutschen Reichs untersagt ist;
4. § 49 RMilG. vom 2. Mai 1874 (RGBl. S. 45), wonach den zum aktiven Heere gehörigen Militärpersonen die Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen untersagt wird, sowie die §§ 101, 113 MilStGB. für das Deutsche Reich, vom 20. Juni 1872 (RGBl. S. 174) über das Verbot der Veranstaltung von Versammlungen von Personen des Soldatenstandes behufs Beratung über militärische Angelegenheiten oder Einrichtungen sowie der Beteiligung an solchen Versammlungen auch durch Personen des Beurlaubtenstandes;
5. die Vorschriften des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 31. Mai 1870 (BGBl. S. 195, RGBl. 1871 S. 127), in §§ 110, 111, 115, 116, 124, 127, 128, 129.
6. § 81 RG., betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, vom 1. Mai 1889, in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Juni 1898 (RGBl. S. 810), wonach eine Genossenschaft, wenn sie sich gesetzwidriger Handlungen oder Unterlassungen schuldig macht, durch welche das Gemeinwohl gefährdet wird, oder wenn sie andere als die im § 1 des Gesetzes bezeichneten geschäftlichen Zwecke verfolgt, ohne Anspruch auf Entschädigung aufgelöst werden kann, sowie § 149 daselbst, wonach Mitglieder des Vorstandes bestraft werden, wenn ihre Handlungen auf andere, als die im § 1 erwähnten geschäftlichen
  1. Abs. 2 des § 17 ist durch das Vereinsgesetz in § 23 aufgehoben.
  2. Empfohlene Zitierweise:
    Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/274&oldid=- (Version vom 1.8.2021)