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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Person abzuweisen, wenn sie nachweisen können, dass die betreffende Person nicht hinreichende Kräfte besitzt, sich und ihren nicht arbeitsfähigen Angehörigen den notdürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen, und wenn sie ihn weder aus eigenem Vermögen bestreiten kann, noch von einem dazu verpflichteten Verwandten erhält. Die Besorgnis vor künftiger Verarmung berechtigt nicht zur Zurückweisung.[1] Ergibt sich nach dem Anzuge die Notwendigkeit einer öffentlichen Armenunterstützung[2], ehe der Anziehende den Unterstützungswohnsitz (Heimatrecht) erworben hat,[3] so kann die Gemeinde die Fortsetzung des Aufenthalts versagen, wenn sie nachweist, dass die Unterstützung nicht wegen einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit notwendig geworden ist. Hat der Anziehende aber den Unterstützungswohnsitz erworben, so kann die Gemeinde ihn nicht mehr ausweisen, die öffentliche Armenpflege muss für ihn und die Seinigen eintreten.

Ausländer sind im Gebiete des Deutschen Reiches nur geduldet und können, wenn sie lästig fallen, ausgewiesen und nötigenfalls zwangsweise über die Grenze geschafft werden,[4] auch wenn sie einen Unterstützungswohnsitz erworben haben.[5]

§ 2. Rechtsentwicklung.[6]

I. Nach der Reichsverfassung Art. 3 besteht in ganz Deutschland ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, dass der Angehörige (Untertan, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaates in jedem andern Bundesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäss zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechtes und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist. Diese Bestimmungen sind im wesentlichen unverändert aus der Verfassung für den Norddeutschen Bund vom Jahre 1867 übernommen worden. Dadurch, dass das Freizügigkeitsgesetz vom Jahre 1867 zum Reichsgesetz erklärt wurde, gelangten im ganzen Deutschen Reiche Grundsätze zur Anwendung, die sich bereits in dem preussischen Gesetze vom Jahre 1842 finden,[7] wonach keinem selbständigen Untertan an einem Orte, wo er eine


  1. F.G. § 4.
  2. F.G. § 6.
  3. Jeder Reichsdeutsche ist in bezug auf die Art und das Mass der im Falle der Hilfsbedürftigkeit zu gewährenden öffentlichen Unterstützung und auf den Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes in jedem Bundesstaate als Inländer zu betrachten. U.W.G. § 1. – Eine Ausnahme macht Bayern, wo das U.W.G. noch nicht eingeführt ist. Die Bayern sind daher Ausländer im Sinne des U.W.G.
    Der Unterstützungswohnsitz wird erworben durch Aufenthalt, Verehelichung und Abstammung, und zwar erwirbt den Unterstützungswohnsitz innerhalb eines Ortsarmenverbandes, wer nach zurückgelegtem sechszehnten Lebensjahr ein Jahr lang ununterbrochen seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort gehabt hat. Der Unterstützungswohnsitz wird verloren durch Erwerbung eines anderweitigen Unterstützungswohnsitzes und nach einjähriger ununterbrochener Abwesenheit nach zurückgelegtem sechszehnten Lebensjahre (U.W.G. §§ 9–27).
    Ein Reichsdeutscher kann mehrere Staatsangehörigkeiten, aber nur einen Unterstützungswohnsitz besitzen.
  4. Die mit den Niederlanden und der Schweiz abgeschlossenen Niederlassungsverträge gewähren den Angehörigen dieser Staaten das Recht, sich im Deutschen Reiche niederzulassen, wenn sie die erforderlichen Ausweisungspapiere besitzen und die Gesetze und Verordnungen des Staates nicht übertreten. Da der Heimatsstaat das Recht hat, nachzuprüfen, ob bei etwaiger Ausweisung die Vertragsbestimmungen berücksichtigt sind, so gewähren die Niederlassungsverträge einen gewissen Schutz gegen willkürliche Ausweisungen. Meyer-Dochow4 § 2327.
  5. Hinsichtlich der vorläufigen Unterstützungspflicht sind hilfsbedürftige Ausländer den Inländern gleichgestellt. Sie behalten den z. B. nach preussischem Landesrecht erworbenen Unterstützungswohnsitz nur so lange, als ihnen der Aufenthalt im Inlande gestattet ist.
  6. Vgl. die geschichtlichen Angaben bei v. Frisch, Art. Stellung der Fremden.
  7. Gesetz über die Aufnahme neuanziehender Personen vom 31. Dezember 1842.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/282&oldid=- (Version vom 2.8.2021)