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Etwas anderes ist es natürlich, wenn das Gesetz nur in einem räumlich beschränkten Umfange Verhältnisse regeln will, wie dies früher bei wenig entwickeltem Verkehre und territorial herausgebildeter Rechtsverschiedenheit, in dem Zeitalter der Observanz, sich von selbst ergab; in dem absoluten Staate nicht selten auch zu dem Zweck geübt wurde, zunächst einmal innerhalb eines Gebietsteiles die Bewährung des Gesetzes auszuproben.[1] Solch schrittweises Vorgehen kann von Wert sein und findet sich auch heut wieder, wie das Beispiel des Gesetzes vom 28. Juli 1902 (Ges.S. S. 273) beweist, das die Umlegung von Grundstücken bloss in Frankfurt a. M. regelt, oder das allmähliche Vorwärtsschieben der provinzialen Gesetzgebung über Wegerecht, Wasserrecht. Innerlich nahe steht dem eine Gesetzgebung, die an einem einzelnen Wirtschaftszweige abweichende Grundsätze zur Geltung zu bringen versucht (z. B. Kaligesetz vom 25. Mai 1910).

3. Die Ordnung setzt der höchste Machthaber, d. i. in der vorkonstitutionellen Zeit in den deutschen Monarchien der Landesherr. Unter recht verschiedenen Benennungen gibt sich das kund: als Gesetz oder Verordnung, Patent oder Publicandum, Kabinettsorder, Edikt, Reskript usw. Auch nur einigermassen feste Grundsätze in der Bezeichnung sind nicht häufig zu erkennen. Doch strebt schon der Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts innerhalb wie ausserhalb Deutschlands dahin, das „Gesetz“ für Anordnungen des Staatsoberhauptes vorzubehalten. [2] Die in der Zeit des Absolutismus beinahe ganz zurückgedrängte Mitwirkung der Bevölkerung machte sich zunächst wieder geltend, um eine massgebende Stimme bei finanzieller Belastung zu erheben (das Wort „droit“ hat den Doppelsinn von Recht und Geldauflage bis heute bewahrt); seit der französischen Staatsumwälzung setzte sie sich unter der Einwirkung der Ideen der Aufklärungszeit aus prinzipiellen Gründen durch, um der Bedeutung eines gesetzlichen Eingriffs willen. Oberster Machthaber wird der König im Parlament. Die gesetzgebende Gewalt steht über den andern Gewalten im Staate.

a) Die Bedeutung des Gesetzesrechts im Unterschiede von dem auch ohne Satzung vorhandenen, durch die allgemeine Überzeugung getragenen oder doch in regelmässiger Betätigung und in der Anerkennung durch die Gerichte hervortretenden Rechtsbrauche liegt in seiner grösseren Bestimmtheit und damit in der Sicherheit für den Verkehr. Das Gesetz erschien als ein so grosser Fortschritt in der Bildung des Rechtes, dass eine ältere Zeit dem Gesetze nicht selten göttlichen Ursprung zuschreibt; die Künste huldigen dem Gesetzgeber. Und dieser Vorgang ist nicht in Zeit und Raum beschränkt; er wiederholt sich bei Völkern verschiedener Kulturstufe, besonders dann, wenn auf eine gesetzeslose oder rechtsschwache Zeit eine neue gesetzliche Ordnung folgte. Schon ein halbes Jahrtausend vor der Sinai-Gesetzgebung liess Hammurabi, der König von Babylon, sich als „König der Gerechtigkeit“ abbilden, wie er vom Sonnengotte die Gesetzesbelehrung empfängt – das Mittelalter kündet den Ruhm Karls des Grossen, des Gesetzgebers, wie der Norden den heiligen Olaf darob preist – und in der Sinnesweise der Aufklärung liess der grosse Preussenkönig im stolzen Hinblick auf das Gesetzeswerk zu Ausgang seiner Herrschaft einer Denkmünze den Satz aufprägen: Fridericus solvit aenigma. Die Jahrhunderte des alten Deutschen Reiches hatten eben den Übelstand eines schwankenden Gewohnheitsrechtsbodens besonders fühlbar gemacht . . . ähnlich ist es heute in England zu spüren. Die feierlichen Versicherungen, die Lykurg und Solon sich für ihr Gesetzeswerk geben liessen oder die unablässigen Anträge auf Kodifizierung des Rechts in Rom bis zu den XII Tafeln –


  1. In Preussen z. B. die „Projekte“ des Codicis Fridericiani Pomeranici und Marchici 1747/48. – Bemerkenswert in England das Aufsteigen von der Einzelregelung (private bill legislation) zur Gesamtregelung (public general act); vgl. Redlich in Grünhuts Zeitschrift d. priv. u. öffentl. Rechts 30 (1903) S. 758.
  2. §§ 6, 7 II 13 ALR. : das Recht Gesetze zu geben und Privilegien als Ausnahmen davon zu verleihen, ist ein Majestätsrecht. Man beachte das charakteristische Schwanken zwischen „Gesetz“ und „Verordnungen“ in der Einleitung des A. L. R. §§ 7, 8, 11, 13, 49 und den dazu gehörigen Marginalien. Es scheint, als ob man unter „Verordnung“ mehr die gesetzesgleiche Regelung des Einzelfalles verstand. – Vgl. noch Staedler, in den Blättern für vergleichende Rechtswissenschaft 7, 1912 S. 270. Für Russland Friedr. Andreae, Beiträge zur Geschichte Katharinas II (Instruktion vom Jahre 1767 für die Kommission zur Abfassung eines neuen Gesetzbuches) 1912 S. 62–65.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/295&oldid=- (Version vom 1.8.2018)