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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Regelung des Rechtes in den Kolonien schlechthin für den Kaiser, auch für den Reichskanzler (§§ 1, 15 des Schutzgebietsgesetzes). Das weite Ausmass gerade dieser Übertragung ist nicht unbedenklich und nur aus der Hilflosigkeit zu erklären, mit der der Gesetzgeber den besonderen und oft schleunigen Erfordernissen des kolonialen Neulandes gegenübersteht. Auch sonst zeigt das Reichsrecht zahlreiche Fälle der Delegation, bald an den Kaiser, ohne oder mit Zustimmung des Bundesrats – z. B. für Änderungen des gesetzlichen Zolles als Vergeltungsmassnahme (§ 10 Zolltarifgesetz vom 25. November 1902) oder für den Erlass einer Gebührenordnung der Rechtsanwälte vor den Versicherungsbehörden (§ 1804 der Reichsversicherungsordnung) – bald an den Bundesrat oder an den Reichskanzler (allein oder unter Zustimmung des Bundesrates) oder auch an die Landesregierung, Landesgesetzgebung usw. Reichliche Beispiele bietet namentlich die Gewerbeordnung. In den Einzelstaaten ist infolge der Aufstellung allgemeiner Delegationen (oben Z. 3 letzter Absatz) das Bedürfnis nach Sonderermächtigungen bei weitem nicht so erheblich: eines der politisch interessantesten Beispiele, das zugleich aber auch die solcher Übertragung innewohnenden Schwierigkeiten zeigt, ist die Zuteilung der Anordnungen über die Bildung der ersten Kammer in Preussen an den König (Gesetz vom 7. Mai 1853).

Die Übertragung muss innerhalb der Schranken des Auftrages ausgeübt werden. Doch lehrt die Erfahrung, dass der Wille zur Macht hierbei zuweilen grösser ist, als ein Sichbescheiden in die gewährten Grenzen. Der Gesetzgeber könnte natürlich jederzeit einschreiten. Bemerkenswert ist die präventive Begrenzung, die eine Vorlegung an das Parlament vorschreibt, zur Kenntnisnahme oder gar zur Genehmigung (Gewerbeordnung §§ 154 am Ende, 16 am Ende) oder die eine Selbständigkeit des delegierten Organes nur für die erstmalige Anordnung zulässt (wie das preussische Gesetz vom 7. Mai 1853), wogegen eine Abänderung allein dem Gesetzgeber vorbehalten bleibt. Eine Weiterübertragung liegt deshalb grundsätzlich, und namentlich bei einer Sonderermächtigung, nicht in der Befugnis des ermächtigten Organs. Die Vermutung spricht für einen umschlossenen, begrenzten Auftrag. Allerdings ist die Praxis solcher „Subdelegation“ nicht abgeneigt,[1] und dieser Umstand kann in einzelnen Verwaltungszweigen zu einer Rechtsgewohnheit geführt haben, die bei späterer gesetzlicher Ermächtigung auf dem gleichen Gebiete die Subdelegation schon als im Sinne des Gesetzes liegend erscheinen lässt.

Von einer Übertragung des Rechtes zur Gesetzgebung getrennt zu halten ist die neuerdings nicht seltene, aber auch nicht ganz unbedenkliche, Übertragung der blossen Redaktion gesetzlicher Bestimmungen, namentlich bei umfassenden Novellen (unten III Ziffer 3 am Ende).

7. Selbst die Skepsis der historischen Rechtsschule konnte die Anerkennung nicht unterdrücken, dass die Aufstellung des positiven Rechts, durch die Sprache verkörpert und mit absoluter Macht versehen – eben das Gesetz – zu den edelsten Rechten im Staate gehöre (v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, 1840, S. 39). Und halten wir uns an die Früchte aus dieser Machtbefugnis, so darf man wohl den Gang der Gesetzgebung als den Zeiger am Uhrwerk des inneren Staatslebens[2] bezeichnen.

II. Gebundenheit durch das Gesetz. Stellung des Richters zum Gesetze.

In diesem Gesichtswinkel laufen eine Reihe von Fragen zusammen, die Geltung und Tragweite des Gesetzes betreffen. Freilich ist es nicht bloss der Richter, den es angeht, sondern jedweder, für den das Gesetz in Betracht kommt. Doch hat das letzte Wort der im Streitfalle über die Bedeutung des Gesetzes entscheidende Amtsträger, also der iudex im weitesten Sinne. Darum mag man immerhin, wie dies üblichist, von einem „richterlichen“ Prüfungsrechte der Gesetze, von der richterlichen Auslegung usw. sprechen. Es bringt diese Weise der Betrachtung auch das Verhältnis der Kräfte im Staate zu bezeichnendem Ausdruck. Wo es an einem Richter fehlt, wie meist in Streitfällen des Staatsrechts, werden die nachstehend behandelten Punkte sich auch nur unvollkommen zur Geltung bringen lassen.


  1. Vgl. Lübbert, Zeitschrift für Kolonialpolitik 1911 S. 730 fg.
  2. Ernst Landsberg, Der Geist der Gesetzgebung in Deutschland und Preussen 1888–1913 (1913) S. 6.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/299&oldid=- (Version vom 1.8.2018)