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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

zur systematischen Sammlung und kritischen Sichtung des ausländischen Materials aufgerufen. Mit dem Auslande wird Fühlung auch insofern gehalten, als in Staatsverträgen mehrfach die Staaten sich verpflichtet haben, einander die einschlagenden Gesetze mitzuteilen. Statistische Erhebungen bilden die notwendige Ergänzung der Vorbereitung auf den verschiedensten Gebieten gesetzlicher Tätigkeit.

In weitem Umfange werden aber heute die Interessenten schon für die Vorbereitungen herangezogen. Dazu dienen in erster Reihe Anträge und Äusserungen der Selbstverwaltungsorgane, ferner der Berufsvertretungen, namentlich der amtlichen, wie Handels-, Handwerks-, Landwirtschaftskammer, Ärzte-, Apotheker-, Anwaltskammer, Gewerbe- und Kaufmannsgerichte usw. Diese Aufgabe ist ihnen geradezu gesetzlich zugewiesen (z. B. § 103g Gewerbeordnung). Freie Berufsvereinigungen – dahin zählen auch Verbände, wie der Verein für Sozialpolitik oder der deutsche Juristentag – wirken, zuweilen noch kräftiger, in derselben Richtung; sie sind manchmal der Regierung unangenehme Dränger, deren Wert auch nicht immer rechtzeitig erkannt worden ist. In ihrer Sachkunde liegt ein unersetzbarer Faktor für die sachgemässe Festlegung des Gesetzesinhalts. Aus Petitionen ferner oder durch amtliche Enqueten [1] wird brauchbarer Stoff geschöpft. Und schliesslich bieten Unzuträglichkeiten in der Rechtsprechung nicht minder wie eine bestimmte gerichtliche Praxis, die sich bewährt hat und die man nicht antasten lassen will, eine Handhabe für die Gesetzgebung: der Richter ist der Pionier der Gesetzgebung. Ein weiterer Schritt zur unmittelbaren Nutzbarmachung der für das Gesetzgebungswerk geeigneten Kräfte ist ihre Heranziehung zu beratenden Kommissionen wie sie sich für die Vorbereitung internationaler Verträge besonders da, wo mannigfache nationale Wirtschaftsinteressen sich kreuzen und Berücksichtigung fordern,[2] längst als förderlich erwiesen haben. Das grosse Werk der Privatrechtskodifikation bietet in dieser Hinsicht für den Gang der Gesetzgebung Erfahrungen, die als Prüfstein gelten können für die Mitwirkung der interessierten Faktoren bei der Schaffung des Rechtsstoffes sowohl wie für die formale Bewältigung.[3] Dem reiht sich die Reform der Strafgesetzgebung jetzt an.

Als Schlussglied in dem vorbereitenden Verfahren kann die Zuweisung des Entwurfs vor die Kritik der Öffentlichkeit dienen, die sich bei grösseren Gesetzgebungswerken empfehlen wird; sie ist schon in der friderizianischen Epoche erprobt worden und bildet heut eine der vornehmsten Aufgaben der periodischen Presse, mag auch dabei manches Wort eines weniger Berufenen in den Kauf genommen werden müssen. Zum kräftigst wirkenden Gegenmittel kann hier dann die Aufstellung eines privaten Gegenentwurfs werden.

Weit weniger als die Staatsregierung hat das Parlament die Möglichkeit, den Stoff heranzuschaffen. Es wird sich deshalb zumeist auf Anregungen beschränken (Resolution) und auf Übermittelung der Petitionen als Material oder zur Berücksichtigung. Dem Parlamente liegt weniger das Stoffliche in diesem Sinne als das Kritische (Amendement) ob. Die nordamerikanische Parlamentspraxis kann durch den Gegensatz, um nicht zu sagen die Karrikatur, dies nur bestätigen.[4]

3. Formulierung des Gesetzes.[5]

Ein herbes Urteil fällt einmal v. Liszt über die legislative Technik bei unserer Strafgesetzgebung: sie sei ihr mehr und mehr abhanden gekommen, jeder innere Zusammenhang zwischen


  1. z. B. über Tabaksteuer, die Börse, das Bankwesen; oder Enquete veranstaltet zur Feststellung der Wünsche der beteiligten Kreise der Bevölkerung inbezug auf die Reform der inneren und der Finanzverwaltung – nämlich in Österreich (veröffentlicht Wien 1913).
  2. Über den „Wirtschaftlichen Ausschuss“ bei der Vorbereitung der Handelsverträge vgl. Lusensky im Wörterbuch des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts2 II, 1912 S. 339, 358.
  3. Vgl. Stoerk, das bürgerliche Gesetzbuch und der Gesetzgebungsapparat des deutschen Reiches, 1899, und (zugleich für das folgende) E. J. Bekker, System und Sprache des Entwurfes eines BGB. 1888.
  4. In der Session 1909/10 soll die Anzahl der bills im Repräsentantenhause 27 000 betragen haben (Freund, das öffentl. Recht d. V. St. von Amerika 1911 S. 112); vgl. noch Journal du droit international privé 1908 S. 297.
  5. Zu meiner Freude haben die hier in der 1. Auflage vertretenen Gedanken mehrfach uneingeschränkte Zustimmung durch wörtliche Wiedergabe gefunden (Rumpf in „Recht und Wirtschaft“ 1912 S. 474, Deinhardt in der Zeitschrift des Allgemeinen deutschen Sprachvereins 1913 Nr. 4 S. 113). Die literarische Behandlung dieser lange genug vernachlässigten Frage ist im Aufblühen: Kleinfeller, Gesetz und Sprache (im Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie VI, 1913 S. 269–274). Einem Preisausschreiben des Deutschen Sprachvereins verdanken wir die (nicht in jeder Hinsicht Zustimmung verdienenden) Schriften über „Unsere Gesetzessprache“ von Fickel (Lehrer), Renner und P. Sommer (zuerst in den „Grenzboten“), sämtlich 1912. Über volkstümliche Gesetzessprache K. Schneider, Jastrow in „Recht und Wirtschaft“ II, 1913 S. 129, 180.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/309&oldid=- (Version vom 1.8.2018)