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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

(vgl. oben S. 297 Ziff. VII, c); oder es ist sogar das Inkrafttreten der Polizeiverordnung der niederen Behörde davon abhängig gemacht, dass die höhere die Verordnung bestätigt, oder doch binnen bestimmter Zeit keinen Widerspruch gegen sie erhebt. Endlich findet das Polizeiverordnungsrecht der Landesbehörden noch eine allgemeine Grenze an dem Reichsrechte, indem ihm durch dieses d. h. durch Reichsgesetze oder Reichsverordnungen bereits mit Strafe bedrohte Handlungen und Unterlassungen entrückt sind (Einf.G. z. Str.G.B. § 2), und weiter auch das Reichsrecht die Arten und das Maximum der in Polizeiverordnungen anzudrohenden Strafen bestimmt hat (das. § 5).

Was die zum Erlasse von Polizeiverordnungen ermächtigten Behörden anlangt, so sind in den Einzelstaaten und ebenso im Reichslande gewöhnlich alle mit der Polizei Verwaltung betrauten Behörden auch zum Erlasse von Polizeiverordnungen innerhalb ihres Amtsbezirkes ermächtigt. Allerdings nicht überall in gleicher Weise. Während in den Mittelstaaten die Landesherren und Minister gegenständlich in demselben Umfange ermächtigt sind, Polizeiverordnungen zu erlassen, wie die mitteleren und unteren Polizeibehörden, stehen die Gesetzgebungen Preussens und einiger norddeutscher Kleinstaaten (z. B. Braunschweig) wie auch das in Elsass-Lothringen massgebende französische Recht auf dem Standpunkte, dass die von den Zentralbehörden zu erlassenden Strafvorschriften in der Regel auf dem Wege der Gesetzgebung gegeben werden sollen, und haben daher dem Landesherrn überhaupt keine Ermächtigung erteilt, den Ministern – unter Verlassung des sonst von ihnen anerkannten Grundsatzes der allgemeinen Ermächtigung – nur wenige spezielle Delegationen. In manchen Staaten (Preussen, Hessen, Württemberg, Baden u. a.) sind ausser den Polizeibehörden auch Organe der Selbstverwaltung an der Ausübung des Polizeiverordnungsrechtes beteiligt, indem jene nur mit Zustimmung oder doch nur nach Vernehmung gewisser Selbstverwaltungskollegien ihre Strafverordnungen erlassen dürfen. Das Reich hat in seinen zahlreichen Delegationen bald den Kaiser, bald den Bundesrat, bald den Reichskanzler oder andere Reichsbehörden (z. B. Marinestationschefs), bald auch die Einzelstaaten schlechthin oder bestimmte einzelstaatliche Behörden ermächtigt.

Alle Polizeiverordnungen bedürfen als Rechtsverordnungen der Verkündigung. Diese ist gewöhnlich gesetzlich dahin geordnet, dass für die Polizeiverordnungen der höheren Polizeibehörden die Bekanntmachung im Gesetzblatte oder im Regierungs- bezw. Kreisamtsblatte vorgeschrieben ist, während die Regelung der Publikation der Polizeiverordnungen der niederen Polizeiorgane den Aufsichtsbehörden dieser überlassen ist, die auch eine Bekanntmachung in bestimmten Organen der Tagespresse vorschreiben können.[1]

6. Notverordnungen sind Verordnungen mit Gesetzeskraft (oben S. 295 ; auch gesetzvertretende Verordnungen genannt), die auf Grund verfassungsmässiger Ermächtigung vom Staatsoberhaupte erlassen werden können in Fällen, in denen das Staatsinteresse schleunigst einen Akt der Legislation fordert, dieser sich jedoch nicht so schnell, wie es nötig ist, herbeiführen lässt. In den meisten deutschen Einzelstaaten mit monarchischer Verfassung sind diese Verordnungen in dem Staatsgrundgesetze vorgesehen.[2] Das sog. Notverordnungsrecht der bayerischen Krone jedoch, welches nicht in der Verfassungsurkunde sondern im bayerischen Polizeistrafgesetzbuche Art. 9 geregelt ist, ist kein Notverordnungsrecht in dem hier verstandenen Sinne. Es ist lediglich ein ausserordentliches Polizeiverordnungsrecht des Königs, das sich im Rahmen der bestehenden Gesetze zu halten hat (Art. 10 das.) und nur, was die Voraussetzungen und die Formalien seiner Ausübung anlangt, mit dem Notverordnungsrechte der anderen Einzelstaaten in Parallele zu stellen ist. Überall ist für den Erlass einer Notverordnung gefordert, dass sie durch die Umstände dringend geboten ist; ein Erfordernis, dessen Vorhandensein allerdings der Verordnungsberechtigte allein nach freiem Ermessen zu beurteilen hat. Im übrigen ist das Notverordnungsrecht wesentlich verschieden in Preussen, Sachsen und den norddeutschen Kleinstaaten einerseits und in Württemberg und Baden andererseits gestaltet, während das hessische Recht sich in der Mitte zwischen beiden


  1. Vgl. z. B. das preuss. Landesverwaltungsges. 30. Juli 1883 §§ 140, 144 Abs. 2 und die Pol.Str.Ges. Bücher Bayerns Art. 11, Württembergs Art. 55, Badens Art. 27.
  2. Die Verf. Urk. der freien Städte kennen kein Notverordnungsrecht.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/331&oldid=- (Version vom 1.8.2018)