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Ermächtigung oder auf einen Grundsatz stützt, der aus dem Wesen der Verwaltung überhaupt folgt. Denn tatsächlich ist die politische Rechtsstaatsidee heutzutage nur insoweit verwirklicht, als dies durch positives Recht geschehen und zu belegen ist. Die Verwaltung ist im übrigen so frei wie aus ihrem Begriffe und dem Polizeibegriffe folgt, wenn auch natürlich mit den Einschränkungen, dass anstelle der Willkür ein mindestens pflichtmässiges Ermessen treten muss und dass eine Einschränkung der freien Initative in dem Masse besteht, als sie in Konsequenz des politischen Gedankens der Rechtsstaatsidee auch rechtlich ausdrücklich vorgesehen worden ist. (Vergl. meine Abhandlung: „Rechtsstaat, Verwaltung und Eigentum“. Eine kritische Auseinandersetzung und eine neue Lehre. 1911 S. 37–47). Nicht zuletzt spricht gegen die Gleichsetzung von Rechtsstaat mit einem Staate der gesetzmässigen Verwaltung, dass der Begriff nur als ein formeller, nicht als ein materieller aufgerichtet ist. Wenn der Zweck der ganzen Rechtsstaatsidee die grösstmögliche Sicherung der individuellen Sphäre gegenüber dem Staate, besonders gegenüber seinen Beamten, ist, so bietet ein nur formeller Begriff diese Garantie nicht in ausreichendem Masse. Denn diese rechtliche Grundlage eines „Gesetzes“ kann so ausserordentlich lax sein, dass alles weniger als ein Rechtsstaat dabei in die Erscheinung tritt. Das zeigt uns z. B. der § 6i des preussischen Gesetzes über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850, wonach zu den Gegenständen der polizeilichen Befugnis nicht nur gehört die grosse Summe derjenigen Angelegenheiten, die daselbst unter a bis h aufgezählt sind, sondern „alles andere, was im besonderen Interesse der Gemeinden und ihrer Angehörigen polizeilich geordnet werden muss“. Dieses „Gesetz“ würde schliesslich jede willkürliche Verwaltung zulassen, wenn nicht durch das preussische OVG. eine einengende Auslegung sich durchgesetzt hätte.

Betrachtet man, von diesen Ideengängen bestimmt, das materielle Abscheidungsmerkmal der Verwaltung gegenüber der Justiz, so wird man es nicht mehr in der Herrschaft des Gedankens von der Zweckmässigkeit, Staatsnotwendigkeit usw. allein und das justizielle Moment der Rechtsbildung bis zu weitgehendem Masse auch hier finden. Freilich nicht in einem ausschliesslichen Sinne, weil eben die Rechtsstaatsidee als politisches Prinzip noch nicht überall sich in Rechtsformen umgesetzt hat. Hierdurch löst sich auch der Widerspruch, der darin liegt, dass einerseits die Verwaltung im modernen Rechtsstaat unter der Rechtsordnung, also unter dem Gesetze steht, andererseits von dem Grundsatze des freien Ermessens im Gegensatz zur Justiz beherrscht sein soll. Nur wo das Gesetz nicht nur Mittel zum Zweck, sondern Schranke der Verwaltung ist, erscheint der Rechtsstaat in jenem Sinne durchgeführt; wo dies nicht der Fall ist, waltet zwar nicht Gesetzlosigkeit, es sind aber die Schranken des Ermessens weit hinausgezogen. Der Spielraum der Verwaltungstätigkeit ist ein grosser, für die meisten Fälle sind nur allgemeine Rechtsgrundsätze gegeben. Das materielle Unterscheidungsmerkmal zwischen Justiz und Verwaltung besteht lediglich in der Verschiedenheit des freien Ermessens, seines Rechtsgrundes, seiner Funktion, seines Endzieles. Das freie Ermessen ist bei der Rechtsprechung immer nur Ausnahme, dagegen bei der Verwaltung immanentes Prinzip. Die Lösung jenes Widerspruches liegt also darin, dass innerhalb der Rechtsschranken die Betätigungsmöglichkeit für die Verwaltung gross ist, und dass in sehr zahlreichen Fällen für sie nur allgemeine Rechtsgrundsätze bestehen, die die Grundlage der „Gesetzmässigkeit“ abgeben müssen.

III. Positivrechtliche Abscheidung der Lebenskreise von Rechtsprechung und Verwaltung. Besteht das materielle Merkmal für Rechtsprechung und Verwaltung in nicht mehr und nicht weniger als in der Art und der Bedeutung des freien Ermessens, so hat das formelle Merkmal praktisch um so grössere Bedeutung, soweit nämlich durch die jeweilige staatliche Gesetzgebung rein äusserlich gewisse Angelegenheiten der Justiz, andere der Verwaltung anheim gegeben sind. So sehr es sich hier auch um allgemeine Grundsätze handeln mag, die für alle Staaten mit annähernder Richtigkeit Bedeutung beanspruchen können, so ist doch nur die Beschränkung auf einen einzigen Staat geeignet, hier einen klaren Einblick zu gewähren. So ist die Beschränkung auf das preussisch-deutsche Recht zulässig und geboten. Die Trennung von Justiz und Verwaltung bedeutet hier die Beseitigung des Landesfürsten als ausübende Macht auf dem Gebiete der Justiz. Nicht mehr in seinem Kabinett werden die Prozesse erledigt, sondern durch unabhängige Gerichte. Nur in der Trägerschaft der Staatsgewalt durch den Landesherrn dokumentiert sich auch seine Befugnis, der Idee nach Inhaber der richterlichen Gewalt

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/337&oldid=- (Version vom 4.8.2021)