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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Neben dem Verwaltungsgerichtshof übt das Reichsgericht, abgesehen von seiner sonstigen Zuständigkeit (Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern, zwischen den Ländern unter sich, von Kompetenzkonflikten) Verwaltungsgerichtsbarkeit aus, indem seiner Kognition zugewiesen sind Beschwerden der Staatsbürger wegen Verletzung der ihnen durch die Verfassung gewährleisteten politischen Rechte.

3. Viel später als in der cisleithanischen Reichshälfte ist die VG in Ungarn eingeführt worden: Gesetzartikel XXVI von 1896.

Auch dieses Gesetz kennt, wie das österreichische vom 22. Oktober 1875, nur eine Instanz der VG: den (ausschliesslich mit Berufsbeamten besetzten) Verwaltungsgerichtshof. Doch ist die Errichtung von Unterinstanzen ungefähr nach dem Vorbild der deutschen Staaten, insbesondere Preussens, für die Zukunft geplant.

Die Zuständigkeit des ungarischen Verwaltungsgerichtshofes ist im Gegensatz zu der des österreichischen aufzählend bestimmt: die Klage bei ihm kann nur erhoben werden gegen (gewisse, nicht alle) Anordnungen derjenigen Behörden, welche in dem Gesetz von 1896 oder anderen Gesetzen namentlich angeführt sind. Eine bedeutsame Erweiterung erfuhr diese Zuständigkeit durch den Gesetzartikel LX v. 1907, wodurch die verwaltungsgerichtliche Klage den Munizipien (Gemeinden und höheren Kommunalverbänden) für alle Fälle gegeben wurde, in denen sie sich in ihrem Recht auf Selbstverwaltung durch eine gesetzwidrige Verfügung oder Entscheidung der Regierung oder ihrer Organe verletzt fühlen.[1]





24. Abschnitt.


Volksrichter und Berufsrichter.
Von
Exzellenz Wirklichem Geh. Rat D. Dr. Adolf Wach,
Mitglied der Ersten Kammer, o. Professor d. R. an der Universität Leipzig.

I. Man spricht vom Laienrichter oder Volksrichter als dem juristisch nicht geschulten und approbierten Mann aus dem Volke, dem Ehrenbeamten, im Gegensatz zum zünftigen, dem Juristenstand angehörigen Richter, dem Richter, dessen Beruf die Rechtspflege ist, dem richterlichen Staatsbeamten. So wurzelt bei uns der Gegensatz in der eigenartigen Entwickelung des Richterstandes als einer durch juristisch berufsmässig geschulte Personen gebildeten Gruppe der Beamtenhierarchie, der zur Ausübung der Gerichtsbarkeit berufenen Justizbeamten. Das geht zurück auf das gelehrte Richtertum, welches selbst wieder seinen Grund hat in der Eigenart der Rechtsentwickelung, der Natur unseres Rechts als Juristenrecht im Gegensatz zum Volksrecht.

Wer die Rechtspflege in Händen hat, der hat das Staatswohl zu wahren. Daher war allzeit die Frage, wer sie üben soll, von grosser politischer Tragweite. Der moderne Rechtsstaat will sie der Willkür der souveränen Macht entheben, gleichviel ob sie monarchisch


  1. Nach gütiger Mitteilung des Herrn Dr. Stefan v. Csekey (Klausenburg) aus den in magyarischer Sprache geschriebenen, dem Verf. nicht verständlichen Quellen.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/347&oldid=- (Version vom 22.11.2023)