Seite:Handbuch der Politik Band 1.pdf/364

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

im Jahr 1907 zum erstenmal 50% gegen 1881, im Jahr 1911 schon 71,2%. Die Novelle vom Jahr 1909 hat die gewünschten Wirkungen für das Verhältnis der amtsgerichtlichen und landgerichtlichen Zahlen gehabt; auch die Verbesserungen des Mahnverfahrens spiegeln sich in der Statistik wieder: die Mahnsachen hatten von 1881 bis 1908 mit einer Ausnahme absolut abgenommen, sind dann 1909 um 26 016, 1910 um 206 115 und 1911 um 549 404 auf 2 659 982 gestiegen. In Bayern sind 1912 anhängig geworden 284 387 Mahnsachen gegen 237 127 ordentliche Prozesse und Urkundenprozesse, also 54,6% Mahnsachen, während es 1909 nur 46,7% waren. Die Zahl der Revisionen ist durch die letzte Novelle verringert worden, in Bayern von 271 im Jahr 1910 auf 189 im Jahr 1911 und 197 im Jahr 1912. In geringerem Mass ist durch die Verschiebung der sachlichen Zuständigkeit auch die Zahl der Berufungen zum Oberlandesgericht reduziert worden (in Bayern 1909 2738, 1912 2189) ; aber dem steht die Zunahme der Berufungen zum Landgericht gegenüber, die im gleichen Zeitraum in Bayern von 4864 auf 6558 hinaufgeschnellt sind. Die Reichsstatistik zeigt eine erschreckende Zunahme der Berufungen; auf 1000 kontradiktorische Endurteile der Vorinstanz kamen im Jahr 1881 noch 457 Berufungen, im Jahr 1911 aber 750! Auch an dem unerfreulichen Bild der Versäumnisstatistik hat sich nichts geändert; bei den Amtsgerichten waren im Jahr 1911 46%, bei den Kammern für Handelssachen 53%, bei den Zivilkammern der Landgerichte in erster Instanz 70% aller Verhandlungen kontradiktorisch; nur beim Reichsgericht wird die gesunde Prozentziffer von 93 kontradiktorischen Verhandlungen erzielt.

Die Erhebungen über die Prozessdauer, die seit einigen Jahren, unter dem Einfluss des Vergleichs mit der österreichischen Ziviljustiz, besonders gründlich vorgenommen werden, gaben kein ungünstiges Bild. Im Reich haben 93,6% amtsgerichtliche und 76% landgerichtliche Sachen von der Klage bis zum ersten Termin weniger als einen Monat gebraucht; beim Amtsgericht sind 53,4% der durch kontradiktorisches Urteil erledigten Sachen in weniger als 3 Monaten und noch 40,3% in weniger als einem Jahr erledigt worden, bei den Landgerichten brauchten 74,7% dieser Sachen nicht mehr als ein Jahr. Beim Reichsgericht ist durch die Einstellung von Hilfsrichtern Erleichterung gegenüber der Stockung geschaffen worden, die eingetreten war. Dass auch in der höchsten Instanz eine rasche Erledigung möglich ist, wenn die Zahl der Richter ihrem Jurisdiktionsbereich angemessen bleibt, das zeigt wieder die Uebersicht über den Geschäftsgang beim bayerischen Obersten Landesgericht, wo von 26 kontradiktorisch erledigten Sachen keine überjährig wurde, und 21 (80,8%) weniger als 6 Monate zur Erledigung brauchten.





b) Die Entlastung des Reichsgerichts.
Von
Geh. Regierungsrat Prof. Dr. K. Schulz,
Bibliothekdirektor bei dem Reichsgericht.


Literatur:

Verhandlungen des 29. Juristentags. Gutachten von Hamm und Syring über die Frage: Empfiehlt sich eine Änderung des Rechtsmittels der Revision in Zivilsachen? 3. Band S. 39–50 und 129–186. Stenographische Berichte. 5. Band S. 700–774.
Bericht der XII. Kommission des Deutschen Reichstags über den Entwurf eines Gesetzes betr. Änderungen der Zivilprozessordnung vom 10. Mai 1905.
Bericht der 14. Kommission des Deutschen Reichstags über die Entwürfe a) eines Gesetzes betr. die Zuständigkeit des Reichsgerichts, b) eines Gesetzes betr. Änderungen der Rechtsanwaltsordnung vom 29. April 1901.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/364&oldid=- (Version vom 13.8.2021)