Seite:Handbuch der Politik Band 1.pdf/373

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

dass zwischen ihnen geistiger Zusammenhang und Wechselwirkung nicht möglich sind und dass sie nicht so sorgsam ausgewählt werden können, wie es bei einer kleineren Zahl geschehen kann. Das Gericht muss in so viele Abteilungen zerfallen, dass es aufhört ein Gerichtshof zu sein und dass wechselnde und innerlich ungleichartige Entscheidungen, welche das Ansehen des Gerichts schädigen, unvermeidlich sind. Kritik und Beschwerde über sich widersprechende Urteile des Reichsgerichts bilden ein ständiges Thema in den Zeitschriften. Praxis und Rechtswissenschaft werden durch massenhafte Präjudizien, die in unkontrollierter Weise aufgestellt und von den Untergerichten auch da angewendet werden, wo sie nicht passen, beengt und gefährdet. Die den Ballast der Entscheidungen gewissenhaft verstauenden Kommentare zu den Gesetzbüchern werden immer umfangreicher und verengern mehr und mehr den Raum für das freie richterliche Urteil. Die Arbeit eines solchen allzugrossen Gerichtshofes wird vielleicht in einigen Fällen einer oder der anderen Prozesspartei zum Siege verhelfen, dem geistigen und wirtschaftlichen Leben des deutschen Volkes wird sie aber nicht den erwarteten Vorteil bringen, vielleicht sogar mehr schaden als nützen. Möge es gelingen, das Eintreten eines solchen Zustandes zu verhindern.





26. Abschnitt.


a) Strafrechtspflege.
Von
Dr. Ernst Beling,
o. Professor der Rechte an der Universität München.

Literatur:

Eine umfassende systematische Darstellung der Strafrechtspflegepolitik als solchen fehlt. Über Einzelprobleme ist seit der Aufklärungsperiode (vgl. insbes. Beccaria, Dei delitti e delle pene 1764, deutsche Übersetzung von Esselborn, 1905) unübersehbar viel geschrieben worden. Mit ihnen beschäftigen sich regelmässig mehr oder minder auch die dogmatischen Darstellungen des Strafprozessrechts (teilweise unter Erwähnung der Literatur de lege ferenda):

die Lehrbücher des Strafprozessrechts von
Geyer (1880),
v. Kries (1892),
Ullmann (1893).
Bennecke (1895).
Bennecke-Beling (1900),
Rosenfeld4. 5 (1912),
Graf Dohna (1913);
die „Vorlesungen“ von Birkmeyer (1898);
der Grundriss von Binding5 (1904);
die Handbücher von v. Holtzendorff (1877–1879) und Glaser (1883. 1886);
die kurzgefassten Darstellungen von v. Lilienthal in Birkmeyers Enzyklopädie der Rechtswissenschaft2 (1904) und Beling in v. Holtzendorff-Kohlers Enzyklopädie der Rechtswissenschaft7 (1913).
Reiches Material an gesetzgebungspolitischen Erwägungen bieten die Verhandlungen des deutschen Juristentages (seit 1860) und die Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (seit 1889).
Vgl. ferner
Motive zu dem Entwurf (I) einer deutschen Strafprozessordnung, Berlin, Kgl. Geh. Oberhofbuchdruckerei, 1872;
desgl. zu Entwurf II. daselbst 1878;
zu Entwurf III. Drucksachen des Reichstages II. Legislaturperiode, II. Session 1874, zu Nr. 5 (A);
Protokolle der Kommission für die Reform des Strafprozesses, 2 Bde, Berlin, Guttentag, 1905.
Aschrott, Reform des Strafprozesses, 1906: (Reichsjustizamts-) Entwurf einer Strafprozessordnung nebst Begründung. Amtl. Ausgabe, Berlin. Liebmann, 1908;
Begründung zu den (Bundesrats-) Entwürfen einer . . . . . . Strafprozessordnung, Drucksachen des Reichstages, 12. Legislaturperiode, I. Session, zu Nr. 1310 A;
Verhandlungen des 19. deutschen Anwaltstages, Jurist. Wochenschrift, Bd. 38 S. 568 ff.;
Änderungsvorschläge zum Entwurf einer Str.-Pr.-O., veröffentlicht vom Berliner Anwaltsverein, Berlin, Heymann. 1910.
Fortlaufende Berichte „zur Strafprozessreform“ in der Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtswissenschaft seit Bd. 24 (1904).

Wie müssen die Strafrechtspflegeeinrichtungen und ihr Wirken beschaffen sein, um den Lebens- und Entwickelungsbedingungen der im Staate geeinten Gesellschaft am besten zu entsprechen? Das ist das in Frageform gefasste Programm der „Politik der Strafrechtspflege“.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/373&oldid=- (Version vom 14.8.2021)