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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

und (in nicht ausreichendem Masse) der Geschworenen (in Frankreich beides nur durch die Praxis gewährt) – bestimmten Fragen die Richtung gegeben, während ein Vortrag des Präsidenten an die Geschworenen, in Deutschl., Ungarn, ital. E. 1905 u. 1909 mit der Aufgabe nur der Rechtsbelehrung (formell nicht bindend), in österr., Italien, Norwegen zugleich im Sinne des unparteiischen Resumés der Verhandlungen (Beeinträchtigung der Selbständigkeit der Schuldbeurteilung) den Abschluss bildet. Frankreich kennt nicht die Rechtsbelehrung (Jury vermeintlich nur mit der Tatfrage befasst) und seit Ges. 19. 6. 1881 auch nicht das Resumé, doch fehlt es nicht an z. T. bedenklichen Surrogaten (Aufklärungen durch den Präsidenten im Beratungszimmer pp).

Das Fehlen der Wahrspruchs-Begründung weist die Urteils-Anfechtung wegen falscher Auslegung des Strafgesetzes in sehr enge Grenzen. Eine Reform hätte Stärkung des juristischen Elements unter Erhaltung der Unabhängigkeit des Wahrspruchs von der Verhandlungsleitung (durch Heranziehung eines rechtsgelehrten Geschworenen),[1] Wahrspruchs-Begründung,[2] weitergehenden Einfluss der Geschworenen auf die Fragenstellung, Vereinfachungen pp. anzustreben. Beteiligung der Geschworenen an der Strafbestimmung wäre zu erwägen.[3] Ein Vorzug von österr. 315 (Ungarn 351) ist das Recht der Geschworenen, der Richter der Schuld, zu Beweisanträgen an das Gericht.

Die Geschworenen haben Urteilsgewalt an der Hand der Gesetze, nicht Gnadengewalt, nicht ein vom Gesetze entbundenes Volksrichteramt (dazu Birkmeyer, Strafprozessrecht S. 224 fg.).

IV. Nur nach durchgreifender Reform der Jury (Minderung des Personalbedarfs pp.) käme ihre Verwendung in der Mittelstufe in Betracht („korrektionelle“ Jury in Genf und Neuenburg). Die gegebene Gestalt der J. hat in Frankreich die gegenteilige Tendenz hervorgerufen, Schwurgerichtssachen durch Unterdrückung erschwerender Umstände vor die Beamten-Gerichte zu bringen („Korrektionalisierung“).

Die öfters bestimmte Zuständigkeit der Geschworenen für politische und Press-Delikte (österr. 484, Ungarn Einf.-Ges. 15, Bayern, Württemberg, Baden, Oldenburg: Pressdelikte; in Frankreich diese Zuständigkeit eingeschränkt durch Ges. 16. 3. 1893)[4] führt auf das Streben zurück, diese nicht immer scharf zu umgrenzenden, erweiternder Auslegung leicht zugänglichen Tatbestände im Interesse ungehemmter politischer, publizistischer Betätigung dem Beamtengerichte zu entziehen und erübrigt sich durch eine diesen Anlass beseitigende Gesamtreform der Gerichtsverfassung.

Schwurgerichte als Ausnahmegerichte lediglich für Presssachen (Österr. Ges. 9. 3. 1869, Schweden) verleiten zu ungesetzlichen Entscheidungen nach subjektiven Rechtsüberzeugungen und dem Parteistandpunkte.[5]

V. Das kontinentale Recht unterwirft Schwurgerichtsurteile bezüglich des Schuldentscheids einer Nachprüfung nur im Rechtspunkt. Dagegen hat Crim. Appeal Act v. 1907 – 7 Edw. 7 c. 13 – (Mendelssohn-Bartholdy, Imperium des Richters S. 210 fg.) unter völligem Bruch mit der Tradition ein rechtsgelehrtes Beamtengericht den Schwurgerichten auch in der Tatfrage übergeordnet (stark abweichend von der deutschen Berufungsgestaltung).

Die herrschende deutsche Rechtsanschauung könnte, auch abgesehen vom Mangel der Begründung des Spruchs, eine zu dessen Nachprüfung geeignete Instanz weder in einem Berufungs- Beamten-, noch in einem Berufungs-Schwurgericht finden.


  1. Verkehrt Anteilnahme des Präsidenten an der Geschworenen-Beratung nach Genf 1. 10. 1890 Art. 208 Abs. 2.
  2. Ein technisch nicht befriedigender Ansatz dazu liegt in den „Kontrollfragen“ nach Österr. 323 (Vorschlag v. Bar’s; nicht in Ungarn), d. h. in Zusatzfragen, welche bezwecken, ein in die Fragen aufgenommenes gesetzliches Merkmal auf das ihm entsprechende tatsächliche Verhältnis zurückzuführen. Noch bedenklicher die Fragenzerlegung im ital. E. 1905 Art. 486, 488 (beseitigt im E. 09).
  3. So Genf 1. 10. 1890. Vgl. den Kommiss.-Bericht der franz. Deput.-Kammer 1908 N. 1793 über die Entwürfe Peret und Briand. Vielfache Petitionen franz. Geschw.-Kollegien streben das an, rév. pénit. 34, 410, 1073; 35, 161 pp. So auch Beschluss der Schwurger.-Kommiss. der J.-K.-V. und ital. E. 1909 art, 43.
  4. Dazu Birkmeyer, Strafprozessrecht S. 227.
  5. Über die Erfahrungen in Österreich: v. Liszt, österr. Pressrecht S. 25 fg.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/387&oldid=- (Version vom 18.8.2021)