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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

mit dem Beschuldigten, Verletztsein durch die Straftat pp.) für diese Sache ausgeschlossenen Geschworenen fällt nach Reichsrecht in die bezügliche Hauptverhandlung (in österr. Losung vor, in Ungarn nach Beginn der Verhandlung). Die Parteien dürfen, zu gleichem Rechte, soviel Geschworene ablehnen, ohne Angabe von Gründen, als Namenszettel über 12 in der Losurne enthalten sind. Stehen nicht mindestens 24 fähige Geschworene zur Verfügung, so wird vor Bildung der Jury die Zahl aus der Jahreshilfsliste durch Zulosung auf 30 ergänzt. In Österr. (ähnlich Ungarn) umfasst die Dienstliste neben 36 Hauptgeschworenen 9 Ergänzungsgeschworene, die stets zu erscheinen haben, um etwaigen Ausfall von Hauptgeschworenen zu ersetzen.

Die peremtorische Ablehnung wäre, wenn nicht überhaupt zu beseitigen, so doch zu beschränken (beachtenswert ital. E. 1909 art. 35) und daneben (wenn nicht ausschliesslich!) begründete Ablehnung zuzulassen, wie auch im engl, und schott. Recht beide Arten der Ablehnung bestehen. Spruchliste und erforderliche Präsenz würden dann (und bei einer Jury von nur 9) erhebliche Reduktion vertragen[1] (unabweisbar, wenn Schöffengerichte in der Mittelstufe – Deutsch. E. – und Schöffen-Berufungsgerichte den Bedarf an Laienrichtern steigern).

Nach Beeidigung der 12 Urteilsgeschworenen, die leider nach Reichsrecht u. deutsch. E. der nötigen Eindringlichkeit entbehrt, namentlich nicht die Pflicht zu gesetzmässiger Entscheidung betont – anders Österr. 313, Ungarn 349 – , folgt die Sachverhandlung.

Über Vorsitz und Beisitz im Schwurgericht wird nach Reichsrecht – im Gegensatz zu der sonstigen Gerichtsbesetzung je für ein Geschäftsjahr im voraus – sessionsweise bestimmt. Ebenso in Österreich, während Ungarn und Italien auf ein Jahr designieren. Unberechtigter Einfluss der Justizverwaltung auf die Gerichtsbildung (einer Einzelsache halber) wird nach dem letzteren Modus sicher verhütet und der Gewinn an Erfahrung in der schwierigen Funktion des Vorsitzes der Justiz in höherem Masse erhalten, als es sessionsweise Berufung erwarten lässt (Norwegen hat ständige Assisen-Präsidenten); sorgsame Auswahl ist freilich bei Ausschluss eines Wechsels im Geschäftsjahr um so mehr Bedürfnis. Wesentlich zu einer Befähigungsprobe, mit Rücksicht auf Beförderung pp., sollte jedenfalls das verantwortungsvolle Amt des Vorsitzenden nicht dienen.

In England ist regelmässig nur ein Richter beteiligt, was auch für Deutschland öfters empfohlen worden ist (das Kollegialsystem gerade bei den schwersten Strafsachen zu durchbrechen, wäre jedenfalls unrichtig). Italien hat seit Ges. 14. 7. 07 nur einen Richter.

Der französische Schwurgerichtspräsident ist ermächtigt, sich in der Sachleitung über Gesetzesvorschriften hinwegzusetzen, an sich unzulässige Beweismittel heranzuziehen pp.; er hat die „diskretionäre Gewalt“ (code 268 fg. u. anschliessende Praxis, Ital. 478 fg.). Das deutsche und (richtig verstanden) auch das österr. Recht (ital. E. 1905) kennen diese Missbildung nicht (anders öfters die frühern deutsch. Landesgesetze).

Die Wahl des Obmanns durch die Geschworenen zur Leitung ihrer Beratung und Abstimmung und zur Kundgebung des Wahrspruchs erfolgt erst nach Schluss der Verhandlungen zur Schuldfrage im Beratungszimmer. Weit richtiger würde für Organisierung des Geschworenen-Kollegs gleich nach der Auslosung gesorgt und ihnen so ermöglicht, gemeinsame Anträge zur Fragestellung, Beweiserhebung, nach Beratung unter sich, zu stellen.

Die Geschworenen unterliegen, wenn sie sich ihren Pflichten gesetzwidrig entziehen, der Strafgewalt des Gerichts (so deutsch. Reich, beschränkter Österr. u. Ungarn).

Das deutsch-österr. Recht billigt ihnen Ersatz der Reisekosten zu. Der deutsche und der österr. E. sehen Tagegelder vor (so Ungarn u. französ. Ges. 17. 7. 1908).

VII. Das Schöffengericht ist im Gegensatz zum Schwurgericht einheitlich gebildet. Schöffen und Berufsrichter sind ein Kollegium und fällen das Urteil gemeinsam. Mitbeteiligung der Schöffen an den dem Urteil vorgängigen Entscheidungen ist nicht begriffswesentlich. Immer beschränkt sich die Zuziehung der Schöffen auf die Hauptverhandlung. Erledigung erst der Schuld-, dann der Straffrage in getrennten Entscheidungen, je durch Richter und Schöffen gemeinsam, wäre mit dem Wesen des Schöffengerichts vereinbar. Fernhaltung der einen oder andern Urteilergruppe hingegen von der Entscheidung entweder der Schuld- oder der Straffrage würde das „Schöffengericht“ aufheben.


  1. Ein Fehler ist, dass der deutsche E. ohne diese Voraussetzungen reduziert (auf 22 u. 18).
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/389&oldid=- (Version vom 18.8.2021)