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Organisation unserer Kommunalverbände, zumal unserer Gemeinden, und ihre Leistungen. Es war unter den vielen glücklichen Gedanken des Freiherrn vom Stein einer der glücklichsten, dass er das Laien-Element nicht nur in der Stadtverordnetenversammlung, sondern auch im Magistrat zur Geltung kommen liess, der Stadtverordnetenversammlung dazu der Kontrolle der gesamten Verwaltung übergab und schliesslich für besondere Verwaltungszwecke besondere Verwaltungsdeputationen vorsah, in denen Magistrat, Stadtverordnete und Bürger zusammenwirken sollen. Möglich, dass der parlamentarische Gedanke diese Richtung einschlägt, wenn erst die Vorurteile, die hüben und drüben von der Entstehungszeit des Parlamentarismus her bestehen, im Laufe der weiteren Entwicklung ausgeschaltet sein werden.

Von entscheidender Bedeutung für die Zukunft des Parlaments ist die Entwicklung der Parteibildung.

Es wäre das Ideal eines Parlaments, das keine Parteien enthielte, in dem sich vielmehr die Gruppen für und gegen eine Meinung nur nach freier, wohlgegründeter Ueberzeugung von Fall zu Fall bildeten. Es ist das Schicksal der Parlamente, dass sie ohne Parteien nicht sein können, ja, dass eine erfolgreiche Parlamentstätigkeit überhaupt erst möglich ist, wenn das Parteileben eine gewisse Stufe der Entwicklung erreicht hat.

Jede Vereinigung, in der Interessen und Meinungen durch Mehrheitsbeschlüsse zur Geltung gebracht oder zum Schweigen verurteilt werden, wird nach kurzer Zeit des Bestehens sich in ständige Gruppen ordnen, die einander gegenübertretenden Parteien. Sie können lose oder festgefügt sein – immer bilden sie Sonderbünde mit Eigenleben, Körper im Körper des Staates, Kommunalverbandes, Parlamentes oder wo immer sie leben mögen. Was sie unentbehrlich macht für das öffentliche Leben, ist, dass in ihnen die Meinungen geklärt, die Interessen ausgeglichen werden, ehe diese in dem grösseren Verbande aufeinanderstossen, dass sie die Streiterscharen ordnen zu einem Kampfe um die Hauptfragen unter Beiseitestellung der trennenden Nebenpunkte. So machen sie aus einem Getümmel ein Gefecht und ermöglichen, dass ein ehrenhafter Kampf zu einem ehrenvollen Frieden führe. Aber gross ist auch die Gefahr der Parteiung. Denn nur zu leicht beginnen Parteien sich als Selbstzweck zu betrachten, während sie doch nur Mittel zum Zweck des Ausgleiches der Meinungen und Interessen in dem Verbande sind, der sie umschliesst. Solche Parteien kämpfen nicht mehr um des Friedens, sondern um des Kampfes willen, sie suchen nicht mehr den Vorteil des Gemeinwesens, sondern nur den ihrer Mitglieder, sei es auch auf Kosten des Gemeinwesens. Und so zerstören sie den Körper, in dem sie wohnten, und damit sich selbst.

Alles Parteiwesen ist auf Kampf abgestellt. Aber falsch wäre es, darin seinen Fehler zu sehen. Solange nicht die Vernunft die Menschen und Völker zum Richtigen leitet, wird der Kampf nicht entbehrt werden können als Mittel zur Selbstbehauptung. Und in jedem Falle ist der öffentliche Parteikampf – mögen dabei auch Hiebe fallen und Güter zerstört werden – dem „versteckten Ränkespiel vorzuziehen, das die Machthaber unfreier Staaten umschlingt“ (Treitschke). Nur muss von ihm verlangt werden, dass er „fair“ sei, dass er sich in den Formen des Anstandes und der Achtung vor dem Gegner vollzieht und, dass er nicht ein Beutezug sei, sondern ein Kampf um die Durchsetzung des eigenen Willens.

Die einfachste Art der Parteibildung ist der Anschluss an führende Persönlichkeiten ohne Rücksicht auf bestimmte Ziele. Solche Gefolgschaften werden häufig der Anfang der Parteibildung sein in Staaten und Parlamenten, denen noch die leitenden Gedanken und ausgeprägten Gruppeninteressen fehlen – die Namen der Parteien im Parlament der Paulskirche legen dafür Zeugnis ab. Aber auch ein entwickeltes Staats- und Parlamentsleben wird nicht selten Parteien zeigen, deren Programm einfach ein Name ist, oder die, trotz eines sachlichen Programms, im Grunde genommen reine Führer-Parteien sind. Dass sie es sind, enthüllt sich allerdings nicht selten erst dann, wenn sie den Führer verlieren und alsobald zusammenbrechen.

Auch andere Parteien können selbstverständlich der Führung nicht entbehren; aber, was ihnen den Halt gibt, ist entweder die Gemeinschaft der Interessen oder die Gemeinschaft der Ueberzeugungen oder beides. Nur wäre es unrichtig zu meinen, dass, was die

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/402&oldid=- (Version vom 20.8.2021)