Seite:Handbuch der Politik Band 1.pdf/408

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

staatlichen, kirchlichen, wirtschaftlichen Leben der Gesellschaft, aber es führt sie nicht an, es ist nicht ihr Träger, es gibt dem Willen der Herrscher nur den gesetzlichen Ausdruck. Nur so wird der Gang der Reformation in England verständlich. Der wunderliche Zickzackkurs, den die Kirchenpolitik der Tudors beschreibt – das Parlament folgt ihm durch all seine Inkonsequenzen hindurch.

Dabei haben die Tudors sich wohl gehütet, den historischen Rechten des Parlaments zu nahe zu treten. Gesetzgebung, Steuerbewilligung, bis zu einem gewissen Grade sogar Kontrolle der Verwaltung übt es aus. Es streitet erfolgreich für die Redefreiheit, für die persönliche Unantastbarkeit seiner Mitglieder. Aber freilich, in dem England Elisabeths spielt nicht das Parlament die führende Rolle. Von der Königin selbst strahlt aller Glanz der Epoche aus. Sie gibt den grossen Staatsmännern die Richtung ihres Handelns. Howard und Drake schlagen die Schlachten der Königin. Selbst die nationale Dichtung gibt, so gut in Spencers Feenkönigin, wie in den Dramen Shakespeares, verhüllt und unverhüllt, eine Verherrlichung der Monarchie.

Auf das Zeitalter Elisabeths folgt der Verfall der Monarchie unter den Stuarts, folgt die Revolution des 17. Jahrhunderts. Sie ist auch an dieser Stelle insofern zu berücksichtigen, als sie der Tendenz der Stuarts, die Regierung des Landes absolutistisch zu gestalten, erfolgreich entgegengetreten ist und der künftigen Weiterentwicklung des Parlamentarismus in England die Bahn frei gemacht hat. Auf verfassungsgeschichtlichem Gebiete hat die Revolution nicht viel Dauerndes hinterlassen, aber einzelne reformatorische Gedanken treten doch auf, die zwar zusammen mit den staatlichen Bildungen dieser Epoche zunächst wieder verschwinden, aber dennoch in späteren Zeiten neu ergriffen und verwirklicht worden sind.

In dem über kirchliche wie politische Fragen entstandenen Konflikt zwischen Krone und Parlament haben Jakob I. und Karl I. zu dem Mittel gegriffen, so oft und so lange wie möglich ohne Parlament zu regieren. Ja, Karl I. scheint, dem Beispiel Frankreichs folgend, wo seit 1614 die Generalstände nicht mehr berufen wurden, daran gedacht zu haben, durch die einfache Nichtberufung das Parlament ganz zu beseitigen. Es gelang nicht. Elf Jahre lang, von 1629–1640 hat er ohne Parlament regiert. Dann sieht er sich gezwungen, zur Deckung der Ausgaben, die ein Krieg in Schottland ihm verursacht, von neuem parlamentarische Bewilligungen zu begehren. Der nun ausbrechende Konflikt zwischen König und Parlament führt zum Bürgerkriege, zum Untergange des Königs, zur Verkündung der Republik. Mit dem Königtum war auch das Haus der Lords gefallen. Das Unterhaus allein blieb übrig und bildete die Regierung des Landes. Ein aus seiner Mitte gewählter Staatsrat führte die Exekutive. Neben ihm standen etliche Ausschüsse für besondere Aufgaben der Regierung. So schien der Sieg der Revolution die Aufrichtung einer reinen Parlamentsherrschaft zur Folge zu haben.

Und doch war dies nur das Zerrbild eines parlamentarischen Systems. Von den vor acht Jahren gewählten Mitgliedern des Unterhauses war nur noch ein kleiner Rest übrig geblieben. Viele waren freiwillig ausgeschieden, viele vor dem Beginn des Königsprozesses gewaltsam ausgeschlossen worden, Nachwahlen nur in geringem Masse erfolgt. Von einer wirklichen Volksvertretung konnte hier nicht mehr die Rede sein, eher von der Oligarchie einer Schar ehrgeiziger Männer, die zwar den monarchischen Absolutismus erfolgreich bekämpft und sich um die auswärtige Stellung Englands grosse Verdienste erworben hatten, nun aber den Besitz der Macht nicht fahren lassen wollten. Da sind es die siegreiche Armee des Bürgerkrieges und ihr grosser Führer Oliver Cromwell gewesen, die ihrer Herrschaft ein Ende machten. Er treibt sie mit schmähenden Worten auseinander, und wie er selber später sagen durfte: „kein Hund hat nach ihnen gebellt.“ Auf die Herrschaft des langen Parlaments folgte die Militärdiktatur. Cromwell regiert als Lord Protector mit dem „Instrument of Government“, der einzigen geschriebenen Verfassung, welche England jemals besessen hat. Auch die Rechte des Parlaments waren darin fixiert, und weit genug war ihr Umfang bemessen. Cromwell hat in der Tat auch Parlamente berufen, aber sie stehen ihm wie Scheinwesen gegenüber. Schon nach dem Wahlmodus konnten sie nicht als wirkliche Volksvertretungen gelten. Und so oft sie von den ihnen durch das „Instrument“ zuerkannten Rechten Gebrauch machen wollten, wurden sie von dem Protektor nach Hause geschickt. Als er endlich zufolge der „Humble Petition and Advice“, einer Weiterentwickelung des „Instrument of Government“, dem Parlamente auch wieder ein Oberhaus hinzufügte, während er selbst die Stellung und fast auch die Ehren eines Monarchen genoss, so hat er damit die Rückkehr zur Monarchie selbst vorbereitet.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/408&oldid=- (Version vom 21.8.2021)