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Gehorchen und dementsprechend eine vorwärtsschreitende Wiliensdisziplin; es gab weiterhin eine differenzierte Tätigkeit der Männer auf den höchsten Lebensgebieten und damit eine Schärfung des Intellektes für besondere Fälle. Dies alles lässt in den eben geschilderten Vorgängen die Anfänge eines neuen psychologischen Zeitalters erblicken, das dann in seiner Fortbildung etwa während des ersten Jahrtausends unserer Geschichte auch eine ganz neue Staatsform, die Form, die ich als urzeitlichen Absolutismus bezeichnen möchte, gezeitigt hat.

In seinen ersten wenig entwickelten Arten kommt dieser Absolutismus in der Form des Heereskönigtums und der daraus hervorgehenden Bildungen schon in den nächsten Jahrhunderten vor und nach Christus vor. Wir sehen, wie bald hier, bald dort sich ein hervorragender Held erhebt, in irgend einer Weise Führer seiner Völkerschaft und das heisst also einer urzeitlichen Demokratie wird, wie er dann diese Führung zu Eroberungen ausnutzt und, sei es daheim oder in der Fremde, ein Reich gründet. Dieses Reich entbehrt freilich noch jeder inneren organischen Durchbildung, – man denke z. B. an das Reich Marobods – es besteht vielmehr regelmässig nur in der Agglomeration einer Anzahl völkerschaftlicher Staaten, die dem Gesamtherrscher für Tribute an Gut, gelegentlich auch zur Erhaltung einer grösseren Heeresmasse an Blut verantwortlich gemacht werden. In dieser rein mechanischen Komplikation dieser Reiche liegt es begründet, dass sie eigentlich niemals einen längeren Bestand gehabt haben. Der Regel nach nur von der Person des Herrschers, manchmal sogar noch von del äusserlicheren vorübergehenden Zuständen abhängig treten sie auf, nehmen gelegentlich binnen kurzem einen ungeheuren Umfang an, wie z. B. eben das Reich Marobods, und verschwinden dann ebenso rasch wieder mit der Person ihres Herrschers. Es sind dies Zustände, die wir bei den slavischen Völkerschaften noch im 10.–11. Jahrhundert vorfinden und die in dieser Zeit namentlich von polnischer Seite her in die Entwicklung der deutschen Geschichte gelegentlich beunruhigend eingegriffen haben.

Ganz anders verlaufen derartige Bildungen bei den Germanen, wie sie denn die Erscheinungen schon einer stärkeren psychologischen Differenzierung und damit die Möglichkeit einer Unterordnung der führenden Männer unter einen obersten Herrscher voraussetzen, seit der Zeit, wo sich mit ihnen namentlich auch durch ihr Übergreifen auf die Provinzen des römischen Kaiserreiches eine starke Sesshaftigkeit der Bevölkerung und der Versuch einer freilich noch sehr ursprünglichen gemeinsamen Verwaltung verbindet. Dies ist das Neue an dem urzeitlichen Absolutismus der Staaten der Völkerwanderung, vornehmlich der Monarchie der Merovinger.

Das Moment, welches in der Monarchie der Merovinger hinzukommt, ist an erster Stelle das der vollendeten Sesshaftigkeit. Indem die in der merovingischen Monarchie vereinigten Völkerschaften und Stämme sich verheimatlichen, werden bei ihnen eine ganze Reihe neuer sittlicher und wirtschaftlicher Zusammenhänge wach. Die definitive Niederlassung in Dörfern ergibt allmählich, mögen die ursprünglichen Wirtschaftsformen noch so kommunistisch und sozialistisch gewesen sein, dennoch den Anfang einer Individualisierung im Wirtschaftsleben, welche den Einzelnen in Lebensfürsorge und Genuss freier hinstellt als bisher; welche ermöglicht, dass die Gegensätze von arm und reich in einer bis dahin schwerlich vorhandenen Grösse und Konsistenz durch die Abfolge der Generationen hin hervortreten; und welche dadurch soziale Motive von äusserster Wichtigkeit in die Fortbildung der Bevölkerung hineinwirft. Gleichzeitig mit diesen wirtschaftlichen Folgen tritt hier schon seit früher Zeit, z. B. schon in den Vicini des Salischen Rechts stark betont, der Begriff der Nachbarschaft auf, des lokalen, zunächst durch die Wirtschaftsverfassung in weiterem Sinne, aber bald auch durch eine Gemeinbürgschaft gegebenen Zusammenhangs. Das Ergebnis der Wirkung dieser neuen Kräfte war natürlich zunächst die Zerstörung der älteren Organisationsform. Die Geschlechtsverfassung, ursprünglich nur rein personal konstruiert und damit die Persönlichkeiten absolut gleichmässig bindend, weicht der Markgenossenschaft, die ihr gegenüber selbst in ihren rohesten Verfassungsformen ein grösseres Mass von Verfassungsfreiheit bedeutet. Mit dem Ruin der alten Geschlechtsverfassung schwindet dann auch der komposite Staat, der Völkerschaftsstaat der Urzeit dahin; wir sehen, wie seine Beamten schon in den ältesten Bestimmungen der Lex Salica kaum noch vorkommen. Aber andererseits wachsen aus dieser sich wandeln den Welt die Keime neuer politischer Verhältnisse hervor. Es sind im wesentlichen zwei: aus dem räumlichen Motiv ergibt sich der Lokalverband und damit die Möglichkeit einer Auswirkung der

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/42&oldid=- (Version vom 30.6.2021)