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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Das Bevormundungssystem des Absolutismus wie das des aufgeklärten Despotismus hatte versagt, folglich hatte es auch den Anspruch auf Autorität und Pietät verwirkt. Das hatten Friedrich Wilhelm III. und Alexander I. in ihrem Kalischer Aufruf an die Deutschen vom 25. März 1813 anerkannt und eine Verfassung versprochen, die „aus dem ureigenen Geist des deutschen Volkes heraustreten“ sollte. Daraufhin ist das Volk in Preussen unter dem Ruf: „Mit Gott für König und Vaterland!“ ins Feld gezogen und hat Gut und Blut an die Befreiung von der Napoleonischen Fremdherrschaft gesetzt. Das war nicht Sache einer Partei, sondern die Sache des ganzen Volkes; und es waren keine radikalen Hoffnungen und Wünsche, die das Volk erfüllten, die Wortführer, ein Dahlmann im Norden, ein Anselm Feuerbach im Süden, bürgten für Masshaltung und Beschränkung innerhalb bestimmter nicht allzuweit gezogener Grenzen.

Aber der Friedensschluss und was darauf folgte, die Neugestaltung Deutschlands durch den Wiener Kongress und die durch ihn festgestellte Bundesakte, entsprach nicht einmal den bescheidensten Forderungen. Weder wurde das alte deutsche Reich mit seiner kaiserlichen Spitze wiederhergestellt, noch Preussen, das sich als der „Schirmvogt“ Deutschlands bewährt hatte, die Führung übertragen, sondern der Bundestag in Frankfurt a. M. eingesetzt, der nur ein Schatten der Einheit, ein loses Bundesverhältnis darstellte und sich rasch noch viel macht- und rechtloser den einzelnen Bundesgliedern gegenüber erwies, als man erst gefürchtet hatte. Der Partikularismus und, was fast noch schlimmer war, der Dualismus von Österreich und Preussen hatte einen traurigen Sieg davon getragen und verurteilte nun fünfzig Jahre lang Deutschland zu kläglicher Ohnmacht. Und der Bundestag war eine Vertretung lediglich der Regierungen, das Volk blieb völlig unvertreten, von einem deutschen Parlament war keine Rede.

So war der Parlamentarismus vom Ganzen absolut ausgeschlossen. Dagegen enthielt die Bundesakte in ihrem § 13 die Bestimmung: „In allen Bundesstaaten wird eine landesständische Verfassung stattfinden“. Allein was hiess das: „wird stattfinden“? War das eine Verpflichtung oder eine Forderung oder gar, wie man bald genug spottend meinte, eine blosse Prophezeiung? Prophezeiungen aber brauchen ja nicht in Erfüllung zu gehen. Und wirklich dachte in Österreich Metternich keinen Augenblick an die Einlösung dieses in der Bundesakte niedergelegten Versprechens, und auch in Preussen wusste er trotz wiederholter Erneuerung der Zusage durch den König, dass „die Repräsentation des Volkes werde gebildet werden“, die Erfüllung erst zu verzögern, dann definitiv zu hintertreiben. Über Provinzialstände, in deren Zusammensetzung dem Grossgrundbesitz der Löwenanteil zufiel und deren Rechte und Tätigkeitsbereich kümmerlich eng begrenzt waren, liess sich die preussische Regierung vorläufig nicht hinausdrängen. Eine von Görres dem König überreichte Bitte um Erlass einer Verfassung wurde ungnädig zurückgewiesen, und das Versprechen, die Provinzialstände sich zu einer „Repräsentantenkammer“ auswachsen zu lassen, noch einmal nicht gehalten.

Dagegen beeilte man sich in einzelnen der kleineren deutschen Staaten, allen voran in Weimar unter Karl August, jene Zusage der Bundesakte einzulösen, „eingedenk der Vorschrift und des Sinnes des deutschen Bundesvertrages“. In Süddeutschland folgte man 1818 und 1819 nach. Dabei kam es in Württemberg zu jenen schweren Kämpfen um die Vertragsidee und um das „gute alte Recht“, das in Wirklichkeit freilich kein Recht und vor allem kein gutes Recht mehr war. Trotz der wundervollen Gedichte Uhlands war der ganze Inhalt dieses Kampfes, wie Hegel richtig sagte, doch nur „auf die unfruchtbare Behauptung eines formellen Rechts mit Advokateneigensinn beschränkt, dem Eigensinn, da sich in dem Formalismus des positiven Rechts und dem Standpunkt des Privatrechts zu halten, wo es sich vom vernünftigen und vom Staatsrecht handelte“. Nachdem aber die Verfassungen einmal gegeben waren, entwickelte sich im Süden ein reges parlamentarisches Leben, das nur leider von Anfang an darunter litt, dass es eben der kleine und enge Boden dieser Partikularstaaten war, auf dem es sich abspielte: es fehlten ihm die grossen Gesichtspunkte und es fehlte ihm das volle Verantwortungsgefühl, wie jene nur in grossen Staaten und wie dieses nur in mächtigen und durch ihre Macht weltgeschichtlich bedeutungsvollen Staaten gewonnen werden kann. Man sieht dies vielleicht am deutlichsten daraus, dass die dreissigjährige parlamentarische Schulung der Süddeutschen im Frankfurter Parlament ihnen keinen Vorsprung und kein Übergewicht verschafft hat, und dass die Verhandlungen des vereinigten Landtags in

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/420&oldid=- (Version vom 21.8.2021)