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ihm eine wohlfunktionierende Zentralverwaltung auf, namentlich seitdem die Fürsten Kanzleien mit ausgiebigem schriftlichem Verfahren entwickelt und ihren Wohnsitz ziemlich ständig in nur einer oder höchstens mehreren Residenzen aufgenommen haben. Gewiss hatten da die Fürsten mit der Entwicklung der Verwaltung das Machtmittel in der Hand, das ihnen gestattete, ihren räumlich ziemlich begrenzten Besitz in einer ganz anderen Weise, als dies im Lehensstaat der Fall gewesen war, intensiv zu verwalten und aus dieser Verwaltung heraus die Vorstellung zu gewinnen, dass dieser Besitz ein Ganzes sei, das man eventuell als solches auch ausspielen und abschliessen könne. Indes aus alledem geht der spezifische Begriff des Staates des 16.–18. Jahrhunderts doch noch nicht hervor. Vielmehr kommt hier ein psychologisches Motiv in Betracht, das nur dem Verlaufe der allgemeinen Kulturgeschichte entnommen werden kann. Auf diesem Gebiete bedeuten bekanntlich die Jahrhunderte des ausgehenden Mittelalters und das 16. Jahrhundert die Zeit der Renaissance und der Reformation: die Zeit der Befreiung des mittelalterlichen Menschen, die Zeit, in der jeder Einzelne anfängt, sich als Persönlichkeit zu fühlen. Es ist eine Tendenz von einer Gewalt, wie sie sich in jedem Lande Europas von den bekannten Persönlichkeitsmoden der Alltagsmenschen schon des 15. Jahrhunderts bis zu dem starken Ichbewusstsein der grossen Künstler und Reformatoren verfolgen lässt. Im 17. und 18. Jahrhundert wird dann vollends klar, und im 18. Jahrhundert namentlich im Gegensatz zu den späteren Zeiten, worin dieser Individualismus eigentlich bestand. Es handelt sich dabei um eine freiere Stellung der Persönlichkeit, die noch nicht so weit geht, diese Persönlichkeit gegenüber den grössten bindenden Mächten des Lebens: der Kirche, dem Staate, der wissenschaftlichen Tradition, dem alten Glauben als absolut freies Subjekt hinzustellen; Pflicht zur Durchbildung einer eigenen Lebensanschauung als für den Einzelnen unerlässlich war noch keine Forderung dieser Zeiten, und ein Nachdenken über den Staat von absolut freier Grundlage aus schien gefährlich. Die freie Persönlichkeit war also noch nicht Subjekt, sondern den grössten Werten ihrer Gegenwart unbedingt und eingestandenermassen unterworfen. Damit hängt es zusammen, wenn der Einzelne gegenüber allen anderen gleichsam als isoliert erscheint. Er hat noch nicht das Bedürfnis der Auswirkung, welches die subjektive Persönlichkeit des 18. und 19. Jahrhunderts besitzt, denn er macht in den höchsten Dingen noch keineswegs für Lösungen persönlichen Charakters Propaganda, und er ist, da ihm diese eben genannten Besonderheiten seines Wesens anhaften, nicht so sehr Gemüts- und Willensmensch, wie das der Mensch des 19. Jahrhunderts ist, sondern auf den Verstand gestellt, rationell und intellektuell. Zieht man die seelischen Konsequenzen aus diesen Zuständen, so begreift sich, dass der Mensch des 15.–18. Jahrhunderts in Staatsdingen, die immer Auswirkung und Leidenschaft voraussetzen, sehr zurücktrat und sich im allgemeinen gegenüber den grossen Mächten des Daseins in einer isolierten Stellung befand, welche die Gesellschaft in weiter nichts als eine Summation von Einzelnen auflöste. Es ergibt sich also, dass der psychologische Zustand dieser Zeit den Absichten und Zwecken des territorialen Staatswesens nur isolierte Individuen entgegenstellte, den bekannten Sand am Meer, von dem man so häufig mit Rücksicht auf die Individuen des 18. Jahrhunderts gesprochen hat. Unter diesen Umständen begreift es sich, dass die neue Verwaltungsmaschinerie des Absolutismus von aussen wenig Anstoss erhielt. Immer weniger von dem alten korporativen Leben des Mittelalters fand sie sich gegenüber, immer hilfloser und vereinzelter stellten sich ihr die einzelnen Personen dar, immer entschiedener und bis in die grössten Einzelheiten hinein griff sie für den Staat auf staatliche Befehle hin durch. Dabei war charakteristisch, dass sie ein eigentliches Ziel positiver staatlicher Betätigung in sich nicht besass, sie ist in dieser Beziehung vielmehr, als ein rein neutrales Werkzeug der Machtauswirkung, von der Entwicklung und der Vorstellung über den Staatszweck von anderer Seite her abhängig geblieben. Doch waren in dieser Richtung allerdings einige Ziele mit der Existenz der absoluten Monarchie als solcher gegeben. Dem absoluten Herrscher musste immerhin die Zusammenfassung des Staates zu einem Ganzen, die Geltendmachung der finanziellen Hilfskräfte und der militärischen Gewalt nahe liegen. Auch der Gedanke der einheitlichen Vermehrung seines Besitzes und aus ihm heraus die Vorstellung dieses Besitzes als eines in sich einheitlich gegebenen Wesens musste ihm kommen, und so war prinzipiell und primitiv der Staatsgedanke allerdings schon im Charakter des Absolutismus gegeben. Allein darüber hinaus ist der eigentliche Inhalt der politischen Tätigkeit des Absolutismus doch erst durch die Abfolge der grossen

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/46&oldid=- (Version vom 1.7.2021)