Seite:Handbuch der Politik Band 1.pdf/463

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Bei politischen Wahlen ist das System obligatorisch in Belgien, den Schweizer Kantonen, Dänemark, Norwegen, Schweden, in Costa-Rica, Tasmanien, im argentinischen Staate Mendoza, in Oberösterreich und Mähren. In Deutschland kennt den Proporz für politische Wahlen nur Württemberg und Hamburg, Württemberg für die Wahlen in Stuttgart und in den zwei Landeswahlkreisen, d. h. für 23 von 92 Sitzen; Hamburg für alle Stadtwahlen.

Sowohl Württemberg wie Hamburg verbieten wilde Listen. Württemberg wie Belgien hat das System d’Hondt; Basel, Genf und Hamburg berechnen nach der Methode Hagenbach-Bischoff. Bayern, Baden und das Grossherzogtum Oldenburg tun es bei den Gemeindewahlen. Allgemein gilt es bei den sozialpolitischen Wahlen. Bemerkenswert ist: 1. Baden im Gegensatz zu Bayern hat für die Gemeindewahlen das System (streng) gebundener Listen; 2. Württemberg besitzt Proporz für grössere Wahlkreise; zwar nicht Landes-, aber Provinz-Proporz. Die 17 Abgeordneten, um die die zweite Kammer 1906 wegen Übertritts der Ritter in das Oberhaus vermehrt wurde, werden allerdings nicht durch das ganze Land als einen Wahlkreis (Landesproporz) gewählt. Der agrarisch-katholische Süden fürchtete Benachteiligung durch den industriell-evangelischen Norden. Immerhin aber wurden nur 2 Wahlkreise dafür geschaffen. Der eine umfasst den Neckar- und Jagstkreis und wählt 9 Abgeordnete; der zweite Donau- und Schwarzwaldkreis und wählt 8 Abgeordnete.

VII. Nebenvorteile der Verhältniswahl. 1. Wahlgeschäft und Wahlkampf werden abgekürzt. Zweite Wahlgänge sind unnötig; ebenso Ersatzwahlen; denn an die Stelle des durch Tod usw. ausscheidenden Abgeordneten tritt der Parteigenosse, der die nächsthöchste Ziffer, wenn auch nicht mehr die Verteilungszahl, erreicht hat. 2. Bei Landesproporz wird alle Wahlkreiseinteilung, diese Quelle ewiger Unruhe und Unzufriedenheit, überflüssig; auch schon bei Provinzproporz wird das Stimmgewicht gleicher.

Auf der anderen Seite steht der Nachteil, dass die Bildung geschlossener Mehrheiten erschwert wird. Damit fällt zusammen: die Einführung der Verhältniswahl gefährdet den Machtbesitz der grossen, in Deutschland der nichtsozialistischen Parteien.

VIII. Abstimmungsproporz. Wahlproporz ist Abstufung der Mandate nach der Zahl der Wahlstimmen, die die Partei erreicht, Abstimmungsproporz ist Abstufung des Stimmgewichts des einzelnen Abgeordneten nach der Zahl der Wahlstimmen, die er erreicht.[1] Abstimmungsproporz wird vorgeschlagen zum Ausgleich der Unterschiede des Stimmgewichts der Wähler, wie sie bei starker Ungleichheit der Wahlkreise eintreten. Der Abstimmungsproporz bedeutet ein einseitiges Betonen der individualistischen Zwecke der Wahl, ein Geringschätzen der Aufgaben des Parlaments. Es soll nicht nur der Masse, sondern dem Gesamtwohl dienen. Die nächste Folge wäre rechtliche Bindung der Abgeordneten durch die Wähler (imperatives Mandat).





Gemeinsames Register am Schluss des dritten Bandes.

  1. Vorgeschlagen von E. Schwarz in Grünhuts Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht 33, 685.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/463&oldid=- (Version vom 28.8.2021)