Seite:Handbuch der Politik Band 1.pdf/74

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

zu befördern . . . .“ Und dieses Prinzip führt Wolff im einzelnen durch. Die Regierungsgewalt, die, wie er ausdrücklich sagt,[1] „nichts anderes ist, als patrimoniale Gewalt, besitzt die unbeschränkte Macht, nach freiem Ermessen, das allgemeine Beste zu verwirklichen“. Wie weit der Verfasser in dieser Richtung geht, mögen einige Beispiele aus seiner Politik zeigen.

So sagt er:[2] „Da man zur Nothdurfft des Leibes Speise, Tranck und Kleidung brauchet, auch ein jeder verbunden ist, bey Nahrung und Kleidung sich nach seinem Stande zu richten; so hat man nicht allein zu veranstalten, dass ein jeder alles dasjenige für einen billigen Preiss haben kan, was er zu seiner Nahrung und Kleidung brauchet, sondern auch darauf acht zu haben, dass sich niemand weder in Essen und Trincken, noch in Kleidung über seinen Stand erhebe . . . .“ An einer andern Stelle heisst es:[3] „Man soll im gemeinen Wesen die Glückseligkeit der Menschen befördern und dannenhero alles verhüten, was Misvergnügen erwecken kan. Weil nun alles, was unbequem ist, Misvergnügen bringet; hingegen, was bequem ist, wo nicht Vergnügen gewehret, doch Misvergnügen verhütet, wie ein jeder leicht bey sich selbst erfähret, so muss man auch im gemeinen Wesen für alle Bequemlichkeit sorgen sie mag Nahmen haben, wie sie will . . . .“ Ferner:[4] „Wenn die Lust der Sinnen so gebrauchet wird, dass sie keinen Verdruss nach sich ziehet, so kan sie mit zur Glückseligkeit des Menschen gerechnet werden. Und diese ist es eben, welche man eine unschuldige Lust zu nennen pfleget. Man hat demnach im gemeinen Wesen davor zu sorgen, dass man seine Sinnen zu belustigen Gelegenheit findet; aber doch auch zu verhüten, dass diese Lust nicht gemissbrauchet werde. Zu dem Ende sind Künstler nöthig, welche dergleichen Wercke verfertigen, die unsere Sinnen belustigen können, oder auch selbst sie zu belustigen geschickt sind. Man muss Örter anlegen, da man zu einer unschuldigen Lust Gelegenheit findet; auch Zeiten bestimmen, da man ohne Nachtheil anderer nöthigen Verrichtungen dergleichen gemessen kan.“ Dies wird dann vom Verfasser noch näher ausgeführt. Z. B. schlägt er vor, um das Auge zu „belustigen“, Bilder von guten Freunden aufzuhängen, weil „dadurch der Affekt der Liebe und zwar einer unschuldigen Liebe in unser Hertz gepräget“ wird. „Hingegen wenn man sich an einem nackenden Bilde belustiget . . . . . so ist es eine schädliche Lust“ und deshalb muss der Staat verbieten, „solche Bilder zu verfertigen oder im Zimmer aufzuhängen.“[5] Springbrunnen, Theater u. dergl. müssen zur weiteren „Belustigung“ der Augen vom Staat errichtet werden. Zur Belustigung der Ohren dienen unter anderm die „Poeten“, die jedoch unter besondere Aufsicht zu stellen sind, „dass sie nicht durch verliebte und unzüchtige Verse gute Sitten verderben“. In gleicher Weise hat der Staat für angenehme Reizung aller Sinnesorgane zu sorgen, immer einerseits positiv durch Erwecken angenehmer Eindrücke, andrerseits negativ durch Hintanhaltung unangenehmer und gefährlicher. Wolff empfiehlt „Anstalten für guten Geruch“[6] und macht die Parfümierung der Handschuhe und Perücken zur Staatsangelegenheit, ebenso wie die Auswahl der Speisen und Getränke, „welche nicht nur zur Nothdurfft des Lebens, sondern auch zur Vergnügung genossen werden“, wobei der Staat sein Augenmerk besonders darauf zu richten hat, „dass nicht eine Delikatesse in ausländischen Speisen gesuchet wird, die nur in der blossen Einbildung bestehet: indem dadurch ohne Noth viel Geld aus dem Lande kommet.“[7]

Die staatliche Fürsorge hat also bei Wolff keine Grenze; unter dem Deckmantel der Wohlfahrtsförderung kann der Staat jeden Eingriff in die Freiheit des Individuums vornehmen, wobei es ihm auf das Wohl oder Nichtwohl des Einzelnen gar nicht ankommt. Vieles von dem, was Wolff vorschlägt, ist heute tatsächlich zu staatlicher Tätigkeit geworden, aber der heutige Staat treibt keinen solchen Missbrauch mit dem Wohlfahrtszweck; Wolffs Wohlfahrtstheorie enthält eine völlige Vernichtung der individuellen Freiheit.


  1. § 266, 435.
  2. § 384.
  3. § 383.
  4. § 389.
  5. § 390.
  6. § 392.
  7. § 393.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/74&oldid=- (Version vom 9.7.2021)