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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

IV. Die Gemeinde-Abgaben.
1. Das System.
2. Entwicklung und Entwicklungstendenzen im Abgabensystem der Gemeinden.
V. Abschliessende Würdigung des Abgabensystems von Reich, Staaten und Gemeinden.

I. Die finanzwirtschaftliche „Arbeitsteilung“ zwischen Reich und Einzelstaaten.

Die Natur des Deutschen Reichs als eines Bundesstaats, dessen Gliedstaaten sich ihrer finanziellen Autonomie nie ganz begeben haben, bringt es mit sich, dass eine Aufteilung der möglichen Einnahmequellen zwischen ihm und seinen Gliedern stattfindet. Dabei ergibt sich, ganz ähnlich wie bei anderen Bundesstaaten (Vereinigte Staaten von Amerika, Schweiz), eine solche Aufteilung als die naturgemässe, d. h. „technisch“ zweckmässige, welche die Zölle und die Verbrauchssteuern dem Reiche überantwortet – da Zölle an den Reichsgrenzen eingehoben werden und nach Staaten verschiedene Verbrauchssteuern leicht Binnenzollschranken bedingen –, die sogenannten direkten Steuern dagegen, deren Erhebung nach verschiedenen Massstäben in den Bundesstaaten möglich ist, ohne die Freizügigkeit der Waren zu gefährden, grundsätzlich den Bundesstaaten vorbehält. Nach diesem Schema wurde die Besteuerung im Deutschen Reiche eingerichtet. Aus verwandten Gründen wurde die Besteuerung des Verkehrs in Mobiliarwerten dem Reiche zugewiesen, die Besteuerung des Immobiliarwerteverkehrs den Einzelstaaten überlassen. Einzelne Abweichungen von der Regel ergaben sich allerdings aus politischen Konstellationen oder aus der Besonderheit bestimmter Steuern. So gibt es auch einige Verbrauchssteuern der Einzelstaaten, Bier- und Weinsteuern in Süddeutschland, eine Fleischsteuer in Sachsen, Baden, andererseits hat das Reich auch an den Immobiliarverkehr letzthin die Hand gelegt.

Das Resultat, das sich aus dieser Aufteilung der Steuern usw. ergibt, wird aber letzten Endes durch das System der sogenannten Matrikularbeiträge und Ueberweisungen in etwas verändert. Ursprünglich waren im Deutschen Reiche – vgl. Art. 70 der Reichsverfassung – die sogenannten Matrikularbeiträge d. h. die Beiträge der Einzelstaaten an das Reich, die da erhoben werden im Verhältnis zur Bevölkerungsziffer der ersteren, nur als Notbehelf gedacht. Die Hoffnung, ihrer in Bälde dank eigner Steuereinnahmen des Reiches entraten zu können, erfüllte sich auch noch im ersten Jahrzehnt des neuen Reiches. Ein Verzicht auf die Matrikularbeiträge erfolgte trotzdem nicht. Politische Gründe gaben wieder den Ausschlag: Matrikularbeiträge gewähren, da sie jährlich neu bewilligt werden müssen, dem Reichstage neben dem Ausgabebewilligungs- ein Einnahmebewilligungsrecht: auch dieses Einnahmebewilligungsrecht wollte der Reichstag sich nicht nehmen lassen. So wurde denn, um Beiträge der Einzelstaaten trotz genügender Ergiebigkeit der Einnahmequellen des Reichs erforderlich zu machen, beschlossen, gewisse Einnahmen des Reichs den Bundesstaaten zuzuführen. Es wurde daraus ein System von Schiebungen, wie es in gleicher Künstlichkeit ausserhalb des Deutschen Reiches nie bestand.[1] Es hat an Durchsichtigkeit dadurch nicht gewonnen, dass seit 1909 kraft Vereinbarung mit den Regierungen der Reichstag die Matrikularbeiträge bis auf weiteres zu keinem höheren Satz als 80 Pfg. pro Kopf umlegt. Die Natur der letzteren als eine Massnahme, deren Beruf darin besteht, dem Reichstag ein politisches Recht zu erhalten, ist damit noch deutlicher geworden.

Neben Abgaben jeder Art spielen in den Bundesstaaten auch die sogenannten Erwerbsanstalten als Einnahmequelle eine Rolle. In den kleineren Staaten handelt es sich in der


  1. Über die Beuteilung, welche die Matrikularbeiträge gegenwärtig in der deutschen Finanzwissenschaft, sowie bei Staatsrechtslehrern und Politikern finden, vgl. Die Zusammenstellung und Kritik bei Julius Wolf, Die Reichsfinanzreform 1909 S. 90 f. und 111, sowie H. Köppe in der Schrift „Die Veredelung der Matrikularbeiträge“ (in den „Finanzwirtschaftlichen Zeitfragen“, herausgegeben von Georg v. Schanz und Jul. Wolf) 1913. Mit Laband und Georg v. Mayr kein unbedingter Gegner der Matrikularbeiträge (die in thesi auch beispielsweise in der Schweiz erhoben werden sollen), obschon das Reich wie die Einzelstaaten im Bedarfsfalle Schulden kontrahieren kann, vermag ich, mindestens als Finanztechniker, d. h. ohne politische Erwägungen heranzuziehen, keinesfalls ein Freund des gegenwärtigen Systems der „Schiebungen“ zu sein. Vgl. hierzu ihre Würdigung bei v. Dewitz, Erbzuwachssteuer als Besitzsteuer, 1912, als „Finanzstörer und ungerechten Belastungsfaktor“ mit dem Ausblick auf ihre endliche Beseitigung.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/100&oldid=- (Version vom 8.9.2021)