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tritt in dieser Zeit neu hervor: die Einkommensteuer. Nach manchen Wandlungen, die hier nicht verfolgt werden können, wurde sie im Jahre 1803 dem Wesen nach zu einem Ertragssteuersystem mit einkommensteuerartigen Momenten umgestaltet und blieb als solche, wenn auch mit manchen Änderungen im einzelnen, bis 1816 bestehen. Sie war der Tribut, den in den Tagen der Not und nationalen Erhebung die vermögenderen Klassen dem Vaterlande darbrachten. Es wurde hierdurch und durch die Erhöhung der Luxus- und Verkehrssteuern ein, wenn auch ungenügender, Ausgleich gegenüber den grossen Opfern geschaffen, die den unteren Klassen durch die starke Belastung des Verbrauchs waren zugemutet worden. Die englische Einkommensteuer ist auch steuergeschichtlich insofern beachtenswert, als sie auf die spätere Gesetzgebung auf dem Kontinent von Einfluss war. Mit Recht ist es dagegen getadelt worden, dass das englische Parlament unter dem Drucke seiner Wähler die Einkommensteuer sofort fallen liess, als die finanziellen Verhältnisse es nur einigermassen erlaubten.

Die folgende Zeit bis zu Beginn der 40er Jahre ist ohne bemerkenswerte Änderungen im Steuerwesen im engeren Sinne verlaufen. Nach Beseitigung der Einkommensteuer verschob sich die Steuerlast wieder gewaltig zuungunsten der indirekten Steuern. Es schien, als ob „ein Bruch mit dem geschichtlich überkommenen Steuersystem, etwa aus politischen, sozialpolitischen, volkswirtschaftlichen oder auch nur aus fiskalischen, steuertechnischen Gründen damals doch noch ausserhalb des britischen Gesichtskreises lag. Wenigstens trugen nur einzelne Änderungen auf dem Gebiete der indirekten Steuern, besonders die Aufhebung der im Kriege sehr hoch gestiegenen Salzsteuer, sozialen Rücksichten auf die Konsumenten und Steuerzahler Rechnung“ (A. Wagner). Aber die volkswirtschaftlichen Verhältnisse und Doktrinen haben zu Beginn der 1840er Jahre tiefgreifende Änderungen und zum Teil völlige Neugestaltungen in der britischen Staatsbesteuerung herbeigeführt. Sie hängen mit dem Siege des Freihandelsprinzipes zusammen und setzen auf dem Gebiete des Zollwesens ein.

Schon seit den 20er Jahren waren Erleichterungen im Zollwesen beliebt worden. Mit der Herrschaft der Wighs und unter Peel als leitendem Staatsmann erfolgte die völlige Abkehr von dem bisherigen Schutzzollsystem. Was schliesslich an Zöllen verblieb, sind reine Finanzzölle von Genussmitteln, die, wie Tabak, alkoholische Getränke, Tee, Kakao, Zucker, Südfrüchte u. dergl., eine hohe Besteuerung vertragen können. Es waren vorwiegend auch freihändlerische Ideen, welche eine Vereinfachung des inländischen Akzisenwesens und teilweise auch des Stempelwesens begünstigten. Lagen diese schon auf einer Linie mit sozialpolitischen Forderungen, so feierten die letzteren einen schönen Sieg in der Wiedereinführung und dauernden Beibehaltung der Einkommensteuer. Wobei zu beachten ist, dass diese, wenn auch grundsätzlich an ihrer alten Form festgehalten wurde, doch sofort und namentlich in den späteren Jahrzehnten eine bemerkenswerte Weiterbildung erfahren hat. Sie wurde zur Hauptsteuer in der direkten Staatsbesteuerung Grossbritanniens; die noch vorhandenen Reste der alten Landtaxe und die reformierte mässige Haussteuer von Wohngebäuden haben neben ihr wenig Bedeutung. Weist die englische Einkommensteuer auch heute noch die Scheidung in 5 Abteilungen nach Art des Ertragsteuersystems auf, so unterscheidet sie sich von dem letzteren doch wesentlich zu ihren Gunsten durch die differenzierende Behandlung der einzelnen Ertragsquellen, den Abzug der Schuldzinsen und die Bemessung der Steuer nach der Gesamtsumme der Reinerträge. Durch eine weitgehende Befreiung kleiner und eine Ermässigung des Steuersatzes bei mittleren Einkommen wurde die früher arg vernachlässigte Schonung der unbemittelten und wenig vermöglichen Klassen erreicht. Zugleich ist die Einkommensteuer in steuerpolitischer Beziehung deshalb besonders bemerkenswert, weil sie in Zeiten plötzlich gesteigerten Bedarfs, so zur Zeit des Krim- und Burenkriegs, durch die jährlich erfolgende Feststellung des Steuerfusses das Gleichgewicht im Staatshaushalt mit erhalten half, ohne dass der Kredit allzusehr in Anspruch genommen zu werden brauchte. Allerdings blieb daneben eine starke Ausnützung der Finanzzölle und der Verbrauchssteuern bestehen und mussten auch diese in Kriegszeiten zur Deckung des Staatsbedarfs durch Zuschläge beitragen. Aber, von einer vorübergehenden Besteuerung auf Getreide, Mehl und Zucker während des Transvaalkrieges abgesehen, handelt es sich um Genussmittel im engeren Sinne, deren Besteuerung an sich nicht beanstandet werden kann, und zudem hat man auch bei diesen Steuern begonnen, sozialethische und sozialpolitische Gesichtspunkte durch Änderungen in den Steuersätzen zu berücksichtigen.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/138&oldid=- (Version vom 16.9.2021)