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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Hat England schon durch die Wiedereinführung und Ausbildung der Einkommensteuer einen rüstigen Schritt zum Ziel der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gemacht, so hat es sich diesem noch weiter genähert durch die namentlich 1894 erfolgte Um- und Ausbildung seiner Erbschaftssteuern, die in ihrer heutigen Form wohl als intermittierende Vermögenssteuern bezeichnet werden dürfen. Rund 550 Mill. Mark ist ihr Bruttoertrag nach dem Budget von 1913/14.

Im Gegensatz zu dem Steuerwesen Frankreichs zeichnet sich so das Englands durch relativ grosse Einfachheit und weitaus bessere Verteilung der Steuerlast aus, ohne an finanzieller Ergiebigkeit hinter dem ersteren irgendwie zurückzustehen. War das englische Steuerwesen noch zu Ende des 18. und zu Mitte des vorigen Jahrhunderts veraltet, schwerfällig, ohne Spur sozialpolitischen Einschlags, so dass es in auffälligem Kontraste stand zu seiner hochentwickelten Volkswirtschaft, so ist der folgenden Entwickelung ein grosser Zug nicht abzusprechen. Das wird auch der bereitwillig anerkennen, der die der englischen Einkommensteuer auch heute noch anhaftenden Mängel nicht verkennt. In welchem Masse eine Lastenverschiebung durch die Reformen der letzten Jahrzehnte eingetreten ist, mag daraus erhellen, dass in den drei Dezennien seit 1875/76 (nach O. Schwarz) die Erträge der Einkommen- und der Erbschaftssteuer um 894 Mill. Mk. gewachsen sind und für sich allein nahezu hinreichten, um die Zunahme des Heeres-, Flotten- und Unterrichtsbedarfes seit jener Zeit mit 936 Mill. M. zu decken, dass 1875/76 von der gesamten Steuerlast nur 19,3 Proz. auf die direkten Steuern (einschliesslich Erbschaftssteuer) entfielen, 80,7 Proz. auf die indirekten, während 1907/08 auf die ersteren 44,8, auf die letzteren nur mehr 55,2 Proz. trafen.

Die allerjüngste Zeit bewegt sich im Steuerwesen der Hauptsache nach auf der gleichen Linie. Die imperialistische Politik, die Ausgaben für den Machtzweck, insbesondere die Marine, haben Fehlbeträge von 300 und mehr Millionen Mark im Staatsbudget hervorgerufen, zu deren Deckung neuerdings eine Mehrung der Steuereinkünfte bewirkt werden musste. Zum Teil musste sich auch in England wie bei gleicher Lage in Deutschland der Verbrauch allgemeiner Genussgüter, des Tabaks, des Branntweins, eine erhöhte Belastung gefallen lassen, zum Teil wurden wie bei uns die Stempelabgaben, dann einzelne Lizenzen erhöht, zum grossen Teil fielen die Mehrleistungen auf Einkommen und Besitz. Die Erhöhungen der Einkommensteuer trafen aber nur die Einkommen über 3000 Pf. St., in bestimmten Fällen traten sogar Erleichterungen gegen früher ein; die Erbschaftssteuer wurde gleichfalls nur für die grösseren Erbschaften und für entferntere Verwandte und Nichtverwandte erhöht. Als neue Steuer trat eine Abgabe vom unverdienten Gewinne an Grund und Boden, eine Wertzuwachssteuer in mehreren Unterarten hinzu. Eine völlige Deckung der Mehrausgaben wurde aber durch alle diese Mittel nicht erreicht. Und so musste man selbst in dem reichen England sich entschliessen, den Schuldentilgungsfonds zu kürzen und die hierdurch freiwerdenden Summen dem neuen Bedarfe zuzuführen.

Nun noch ein Wort über das Steuerwesen der Kommunalkörper und dessen Verhältnis zum Staatssteuerwesen. Es scheint dies umso berechtigter, als über die englische Kommunalbesteuerung vielfach irrige Anschauungen bestehen, deren Berichtigung erforderlich ist, wenn die Vergleichung der englischen Gesamtbesteuerung mit der eines anderen Landes, etwa mit der deutschen, zutreffend sein soll.

Einer oberflächlichen Betrachtung möchte es scheinen, als ob im kommunalen Steuerwesen die Steuerlast vornehmlich auf den Besitzenden läge. Denn die englischen Lokalsteuern, besonders die Poor rates wollen die „sichtbaren, in der Gemeinde belegenen Vermögenswerte“, also vor allem die Grundstücke, einschliesslich der Wälder, Kohlenbergwerke usw., und die Gebäulichkeiten aller Art treffen. Allein in Wirklichkeit liegt die Sache ganz anders, weil diese Steuern nicht vom Eigentümer der Liegenschaften, sondern vom Nutzniesser, also auch dem Pächter und Mieter, erhoben werden, denen es nur in seltenen Fällen gelingen dürfte, die Steuer auf den Eigentümer überzuwälzen. Die im Jahre 1896 eingeführte Erleichterung der die Landwirtschaft treibenden Steuerpflichtigen und die den kleinen Mietern gewährte Ermächtigung, die Steuer auf den Vermieter abzuwälzen, hat nichts Wesentliches geändert. Diese Steuern treffen die Besitzenden weit weniger als die kleinen Mieter und die Pächter und wirken in zahllosen Fällen als Besteuerung des Wohnungsaufwandes oder des Arbeitsverdienstes. Diese ganze Besteuerung stammt aus einer

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/139&oldid=- (Version vom 12.9.2021)