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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Zeit, in der die Wirtschaftsverhältnisse viel einfacher waren wie heute, in der Einkommen und Vermögen noch in der Hauptsache auf dem Immobiliarbesitz beruhten. Heute ist sie durchaus veraltet und entspricht weder dem Grundsatze der Allgemeinheit noch dem der Gerechtigkeit. Sie ist deshalb auch ungeeignet, dem rasch und stark wachsenden Bedarfe der Lokalbehörden sich anzupassen. Woraus es sich dann, wenigstens zum Teil, erklärt, dass die Schulden der Kommunalkörper in wenigen Jahrzehnten zu beträchtlicher Höhe anliefen, und dass der Staat mit Überweisungen von Steuererträgen zu Hilfe kommen musste. In der Form solcher Überweisungen oder Dotationen tragen dann allerdings auch Vermögensbesitz und Gewerbebetrieb zur Deckung des Kommunalbedarfes bei; da aber auch und zwar in noch höherem Masse Zölle und Verbrauchssteuern an jenen beteiligt sind, so fehlt es an einem entsprechenden Ausgleich.

Kaum irgendwo hat sich der Umgestaltungs- und Konsolidierungsprozess im Steuerwesen unter solchen Schwierigkeiten vollzogen wie in Deutschland.

Das Steuerwesen der deutschen Staaten zu Ende des 18. Jahrhunderts ist so verwickelt und buntartig, dass es mit wenigen Worten nicht beschrieben werden kann. Nicht nur unterscheiden sich die einzelnen Staaten wesentlich von einander je nach ihrer historischen Entwickelung, ihren wirtschaftlichen Verhältnissen, dem grösseren oder geringeren Einfluss der Stände auf das Finanzwesen, sondern es fehlt auch innerhalb desselben Staates nicht an zahlreichen provinziellen und territorialen Verschiedenheiten. Nirgends weist das Steuerwesen einen auch nur halbwegs befriedigenden Zustand auf. Weder der Grundsatz der Allgemeinheit war verwirklicht, denn die Privilegien des Adels, der Beamtenschaft usw. bestanden vielerorts fort, noch der Grundsatz der Gerechtigkeit, denn die Steuerlast lag ganz überwiegend auf den unteren und mittleren Klassen. Ob die deutschen Staaten von sich aus, ohne äusseren Anstoss, bald zu einer Umgestaltung ihres Steuerwesens gelangt wären, ist heute eine umso müssigere Frage, als die geschichtlichen Ereignisse zu Anfang des vorigen Jahrhunderts mit gebieterischer Gewalt diese Umgestaltung tatsächlich erzwangen. Es geschah dies zum Teil noch während der grossen Kriegszeit, zum grösseren Teil aber nach deren Beendigung.

Am schwersten wohl von allen deutschen Staaten war Preussen durch die napoleonischen Kriege betroffen. Die finanziellen Lasten, die es in Form von Kriegsrüstungen, Kontributionen usw. zu tragen hatte, waren ungeheuer. Nur mittels höchster Ausnutzung des Kredits, durch Ausgabe von Papiergeld und schwersten Steuerdruck gelang es, den finanziellen Zusammenbruch zu vermeiden. Dass im Steuerwesen zunächst nur die Rücksicht auf die Deckung des Bedarfes massgebend war, ist natürlich. Allerdings hatte man schon während der Kriegszeit erkannt, dass eine Neugestaltung des Steuerwesens unerlässlich sei. Das Finanzedikt vom 27. Oktober 1810 hatte als leitende Gesichtspunkte eines neuen Steuersystems verkündet: Tragung der Abgaben nach gleichen Grundsätzen von jedermann im Staate, Vereinfachung der Abgaben und ihrer Erhebung, namentlich eine gleiche und verhältnismässige Verteilung der Grundsteuer auf alle Pflichtigen mittels eines neuen Katasters. Aber die Fortdauer des Kriegszustandes und der finanziellen Not verhinderten zunächst eine Verwirklichung dieser Grundsätze. Das Edikt vom 7. September 1811 hielt an der steuerlichen Scheidung von Stadt und Land fest: die grösseren Städte hatten die alten Akzisen, Aufschläge auf alle möglichen Waren, und einige neue Verbrauchsabgaben zu entrichten, das platte Land und die kleineren Städte wurden zwar von der Mahlsteuer befreit und in anderen Verbrauchssteuern erleichtert, dagegen mit einer neuen Personalabgabe (½ Taler von jeder über 16 Jahre alten männlichen Person) getroffen; daneben blieb die alte Grundsteuer und ebenso das Salzregal bestehen. Neu war die Gewerbesteuer von 1810, eine Folge der neuen Gewerbeverfassung, die als rohe Klassensteuer nach äussern Merkmalen erhoben wurde. Im gleichen Jahre wurde die Stempelsteuer erweitert und erhöht. Einige Versuche mit Vermögens- und Einkommensteuern führten nicht zum Ziele.

Eine für drei Jahrzehnte und zum Teil darüber hinaus die Richtung gebende Reform erfolgte nach Abschluss der Kriege in den Jahren 1820–22. Die Veranlassung lag unter anderm in der Notwendigkeit, die Verschiedenartigkeit der Steuerverfassungen in den alten und den neu erworbenen Landesteilen nach Möglichkeit zu vereinfachen. Das wichtigste war die Umbildung der Personalsteuer auf dem Lande und in den kleineren Städten in eine nach ständischen Gesichtspunkten

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/140&oldid=- (Version vom 12.9.2021)