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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

der eine von den Institutionen des Staates mehr Vorteil zieht als der andere. Es ist möglich, dass der Ausbau der Flotte die Dividenden der Gesellschaften erhöht, die den Schiffsbau betreiben, dass er den Umsatz der exportierenden Händler und Industriellen erhöht, dass er den Auslandsgeschäften inländischer Kapitalisten und Unternehmer grössere Sicherheit verleiht. Aber abgesehen davon, dass der Staat auch daran durch höhere Erträge der Einkommen-, Vermögens-, Verkehrssteuern usw. teilnimmt, kommt der Aufschwung in Handel und Industrie auch den Arbeitern durch höhere Löhne oder Erweiterung der Arbeitsgelegenheiten, zahlreichen Gewerben durch Erhöhung der Kaufkraft, Zunahme der Konsumtion usw. zugute. Und jedenfalls ist das eine sicher, dass es an jeder Möglichkeit fehlt, das Mehr an Vorteilen, das der eine etwa gegenüber dem anderen hat, einwandfrei festzustellen, so dass es zur Grundlage der Steuerausteilung gemacht werden könnte. Es bleibt nichts anderes übrig, als die Steuer als eine Gegenleistung für die Erfüllung der allgemeinen Staatsaufgaben anzusehen und die Verpflichtung zu ihrer Entrichtung allen denen aufzulegen, die der Staatsleistungen teilhaftig sind. Und der Massstab der Steuerausteilung kann dann nur in der Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen gefunden werden.

Allein mit dem Bekenntnis zu dieser Auffassung sind die Schwierigkeiten keineswegs erledigt. Im Gegenteil; sie beginnen erst eigentlich damit. Denn sofort wird sich die Frage erheben, welche Steuer oder welches Steuersystem geeignet sei, die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu verwirklichen.

Man hat sich in der Wissenschaft zunächst darüber geeinigt, dass die Grösse des Einkommens der beste Gradmesser der Leistungsfähigkeit sei. Wobei unter Einkommen die Summe der Reinerträge zu verstehen ist, über die der einzelne verfügen kann, ohne den Vermögensstamm angreifen zu müssen. Allein man konnte sich doch auch nicht der Tatsache verschliessen, dass zwei Personen mit gleich grossem Einkommen verschieden leistungsfähig sind je nach der Art ihres Einkommens, d. h. je nach der Quelle, aus der das Einkommen fliesst. Und es wird nicht bestritten werden können, dass das aus Besitzquellen fliessende, mit Hilfe von Immobiliar- oder Mobiliarwerten erzielte Einkommen im allgemeinen gesicherter ist als das reine Arbeitseinkommen. Denn das Einkommen aus Grund-, Haus- und Kapitalbesitz, einschliesslich des in Gewerbe und Hardel investierten Vermögens, entspringt aus dauernden Quellen, gibt seinem Besitzer auch nach Einstellung der Arbeit und in vielen Fällen ohne irgend eine Arbeitsleistung ein Renteneinkommen, überdauert zumeist die Person des Besitzers und sichert die Zukunft seiner Rechtsnachfolger. Das nicht fundierte Einkommen dagegen steht und fällt mit der Person des Erwerbers, ist schwankend und versiegt mit Alter und Krankheit, und die Zukunft der Familie kann nur dadurch mehr oder weniger gesichert werden, dass es dem Erwerber gelingt, aus seinem Einkommen Rücklagen zu machen. Aber die eingehende Erörterung des Problems der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit hat sich auch mit der höheren Belastung des fundierten Einkommens nicht zufrieden gegeben: nicht nur die Grösse und Art des Einkommens soll der Steuergesetzgeber beim Ausmass der Steuer in Rechnung setzen, sondern er soll auch die individuelle Leistungsfähigkeit, die von der durchschnittlichen, durch eine bestimmte Einkommensgrösse und -art verbürgten erheblich abweichen kann, in Rücksicht ziehen. Es ist nicht zu bestreiten, dass von zwei Personen mit gleich grossem und gleichartigem Einkommen, es dem einen, der mehr Kinder aufzuziehen oder mehr Angehörige zu unterhalten hat wie der andere, oder der Krankheiten und sonstiges Missgeschick im Hause hat, von dem der andere verschont blieb, viel schwerer fallen wird, die gleiche Steuersumme zu entrichten wie dem andern. Die neuere Gesetzgebung hat diesem Umstande auch Rechnung zu tragen gesucht. Allein anschliessend an solche Erwägungen haben sich in der letzten Zeit Stimmen erhoben, die zwar grundsätzlich für die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit eintreten, aber diese nicht nach der Grösse des Einkommens sondern nach dem „Überfluss" oder nach der „Ersparungsmöglichkeit“ wollen bemessen wissen. Es solle, sagt man, nicht nur die Grösse des Einkommens sondern auch der individuelle Verbrauch berücksichtigt werden. Die Steuer könne nur dann als der Leistungsfähigkeit entsprechend angesehen werden, wenn sie für jeden das gleiche Opfer bedeutet. Nun könne aber bei gleichen Einkommensgrössen eine gleich hohe Steuer für zwei Steuersubjekte ganz verschieden schwer treffen, wenn der eine der beiden Steuerpflichtigen gezwungen sei, jährlich grössere Ausgaben zu machen, z. B. weil die Zahl seiner Familienangehörigen

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/148&oldid=- (Version vom 12.9.2021)