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grösser ist. Der Steuerpflichtige mit grösserer Familie müsste dann seinen Verbrauch erheblich einschränken, um die Steuer entrichten zu können, während der andere, der keine Familie hat, noch sog. Anstands- oder Luxusbedürfnisse befriedigen könne. Positiv ausgedrückt wird also hier eine Besteuerung des sog. freien Einkommens verlangt, d. h. desjenigen Einkommens, das nach Abzug des notwendigen Unterhaltes des Steuerpflichtigen und seiner von ihm zu unterhaltenden Familienangehörigen übrig bleibt.

Die Idee knüpft an ältere Lehren an; man hat auch die Steuerprogression mit der Opfertheorie zu begründen gesucht. Der Gedanke ist auch an sich nicht unrichtig; schon bei den alten Junggesellensteuern und bei der erst kürzlich in Reuss zur Einführung gebrachten spielt die Erwägung herein, dass der Junggeselle, der sich von den Lasten eines Familienhaushaltes frei weiss, in der Lage sei, dem Staate mehr Steuern zu bezahlen als der Familienvater. Aber an der praktischen Durchführung des Gedankens wird man füglich zweifeln dürfen. Natürlich würde eine nach dem „Überflusse“ bemessene Steuer genaue Massangaben über den Verbrauch voraussetzen. Ist schon die Deklarierung des Einkommens mit vielen Unzuträglichkeiten und Belästigungen des Steuerzahlers verbunden, so würden diese bei Massangaben über den Verbrauch sich ins Ungeheuerliche vermehren. Ohne eingehende Kontrollen wären solche Angaben unbrauchbar; aber solche Kontrollen würden einen kaum zu ertragenden Eingriff in die rein private Sphäre des Haushaltes bedeuten. Wollte man sich aber mit einer amtlichen Feststellung des durchschnittlichen „notwendigen Verbrauchs“ unter Berücksichtigung der Zahl der Familienangehörigen begnügen, so wäre bei der grossen Dehnbarkeit des Begriffes „notwendiger Verbrauch“ bei dem verschiedenen Verhalten der Einzelnen selbst gegenüber den elementaren Bedürfnissen des Essens, Trinkens und Wohnens, bei der erheblichen örtlichen Verschiedenheit der Preise usw. zu befürchten, dass die Ungleichheiten in der Besteuerung eher zu- als abnehmen würden. Die positive Grösse des Einkommens bezw. des Vermögens wird nach wie vor ein besserer, weil objektiv feststellbarer Massstab der Besteuerung sein als die unsichere Grösse des Verbrauches. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, dass die Grösse der Verbrauchsbelastung, von der gleich die Rede sein wird, sich in einem rationellen Verhältnis zur Grösse des Einkommens, bezw. zur Gesamtbesteuerung zu bewegen habe.

Wir sind also der Meinung, dass es wie bisher so auch in Zukunft Aufgabe und Ziel der Steuerpolitik sein müsse, die Besteuerung der Leistungsfähigkeit möglichst anzupassen und dass dies am besten durch Steuern geschehe, die im Prinzipe nach der Grösse und Art des Einkommens bemessen sind. Wie diese Steuern im einzelnen beschaffen und geartet sein sollen und welche Ausnahmen von diesem Prinzip gemacht werden mögen, davon wird nachher noch die Rede sein. Nun lehrt aber die Erfahrung, dass kein Staat der Welt, welche Wirtschaftsstufe und Verfassungsform immer er aufweisen mag, seinen Staatsbedarf allein durch Steuern von Einkommen und Besitz zu decken vermag und kein Theoretiker und keine politische Partei, mit Ausnahme der Sozialdemokratie, hat die Verbrauchsbesteuerung grundsätzlich verworfen. Man kann sich doch auch der Tatsache nicht verschliessen, dass Verbrauchssteuern die mildeste Form der Besteuerung der unteren Klassen sind, in der sie in kleinsten Beträgen der auch ihnen obliegenden Pflicht zu Leistungen an den Staat genügen können. Der oft gehörte Einwand, dass durch diese Besteuerung die unteren Klassen im Unklaren gelassen würden über die Grösse ihrer Leistungen, ist heute angesichts der Aufklärungsarbeit ihrer Vertreter und der sozialpolitischen Steuertheoretiker hinfällig. Dass, wie wir wissen, jedesmal, wenn eine Verbrauchssteuer in Vorschlag gebracht wird, heftige Kämpfe entbrennen, ist richtig; aber bei diesen handelt es sich doch mehr um die Frage der Ausdehnung der bereits bestehenden Verbrauchssteuern, um die Steuerform, um die Höhe der Steuer, um das Belastungsverhältnis, um Rücksichtnahmen auf die Produzenten und Händler als um eine völlige Negation der Berechtigung der Verbrauchsbesteuerung an sich. Es darf dabei auch nicht verkannt werden, dass die Entwickelung, die das Steuerwesen der Kulturstaaten genommen hat, viele Missstände im Verbrauchssteuerwesen beseitigt oder gemildert hat und dass die Hoffnung als nicht unbegründet erscheint, dass die Zukunft weitere Verbesserungen bringen werde. Kein Parlament und keine Regierung würde heute mehr wagen, inländische Steuern auf Brot und Fleisch zu legen; wo die Kommunen im deutschen Reich ein solches Recht bis in die neueste Zeit besassen, hat die Reichsgesetzgebung es beseitigt. Sicher bestehen auch heute noch erhebliche Mängel im Verbrauchssteuerwesen.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/149&oldid=- (Version vom 12.9.2021)