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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Vom Standpunkte der Steuerpolitik aus sind auch Lebensmittelzölle zu beanstanden; denn diese wirken nicht nur durch die Verteuerung der aus dem Auslande eingeführten Mengen sondern noch mehr durch Erhöhung der Preise der gleichartigen Inlandsprodukte und sie belasten die grosse Volksmasse empfindlich. Bei Errichtung von Schutzzöllen auf Lebensmitteln und namentlich bei starker Erhöhung von solchen werden deshalb die gesetzgebenden Faktoren immer die Frage auf das ernsthafteste zu prüfen haben, ob der Vorteil, den der Schutzzoll einer Klasse von Produzenten gewährt, gross genug ist, um die Lasten zu rechtfertigen, die damit den Konsumenten, und zwar den unbemittelten in weit höherem Masse als den bemittelten, zugemutet werden. Der Trost der Abwälzung, der den betroffenen Kreisen gegeben zu werden pflegt, ist, wie nachher noch zu zeigen sein wird, wenig überzeugend. Abgesehen von den Getreide- und Viehzöllen ist als kopfsteuerartige Abgabe im deutschen Reiche wie in anderen Staaten nur mehr die Salzsteuer vorhanden. Es ist zuzugeben, dass ihre Beseitigung erwünscht wäre. Immerhin darf gegenüber den, namentlich in früherer Zeit, oft mit Leidenschaft und nicht ohne Übertreibung geführten Kämpfen hervorgehoben werden, dass sie heute ungleich milder wie früher und der Wert des Steuergegenstandes an sich ein minimaler ist. Zudem lassen die bei der jüngsten Aufhebung der gemeindlichen Aufschläge auf Getreide und Fleisch gemachten Erfahrungen die Befürchtung begründet erscheinen, ob ihre Aufhebung wirklich den Konsumenten im vollen Umfange zugute käme. Im übrigen erstreckt sich die inländische Verbrauchsbesteuerung doch zum weitaus grössten Teile auf Genuss- und Reizmittel, deren der Einzelne ohne Schaden, ja oft zum Nutzen seiner Gesundheit entraten kann. Dass trotz starker und nicht selten steigender Besteuerung der Konsum von Alkohol, Tabak, Zucker usw. stark zunimmt, ist doch ein Zeichen einer bis in die unteren Klassen herabsteigenden Erhöhung der Lebenshaltung. Bemerkenswert sind die Versuche, den Gedanken der Steuerprogression, der im direkten Steuerwesen immer mehr zum Siege gelangt, auch bei den Verbrauchssteuern durch Anpassung der Sätze an die Qualität der besteuerten Objekte zu verwirklichen. Die Tabakwert- und die Zigarettensteuer des Reichs sind dafür ein Beweis. Jedenfalls zeigt die Entwickelung des Verbrauchssteuerwesens in den letzten Jahrzehnten, in England allerdings mehr als bei uns, dass man auch hier sozialen Erwägungen zugänglich ist und den Einwendungen gegen ihre Mängel gerecht zu werden sucht. Die Theorie hat dieser Auffassung schon seit langem vorgearbeitet. Sie hat sich die Unentbehrlichkeit der Verbrauchssteuern nicht verhehlt, aber ebensowenig deren bedenkliche Wirkungen auf eine relative Überlastung der unteren Klassen. Sie hat deshalb stets auf eine Ausgleichung durch passende direkte Steuern auf Erwerb, Einkommen und Vermögen, in erster Linie durch Einkommen- und Vermögenssteuern, dann aber auch durch Erbschafts-, Besitzwechsel-, Wertzuwachs-, Börsensteuern u. dergl. und vor allem durch weitgehende Steuerbefreiungen und -erleichterungen der unteren Klassen bei den Einkommens- und Erwerbssteuern hingewiesen. Und die Gesetzgebung hat sich in England, Deutschland, selbst in Frankreich diesem Standpunkte doch mehr und mehr genähert. Auch darf nicht übersehen werden, dass die Verbrauchssteuern doch auch die vermöglicheren Klassen neben den Einkommens- und Besitzsteuern mit belasten und zwar um so mehr, je mehr sie sich auf Genuss- und Reizmittel beschränken und nach Qualitätsunterschieden abgestuft sind. Wie gross der Anteil der einen und der anderen Schicht an der Gesamtbelastung ist, lässt sich freilich nicht genau nachweisen. Wittschewsky nimmt an, dass im deutschen Reich von den Zöllen auf die Unterschicht mit einem Einkommen bis 1500 M. 60,8%, auf die Oberschicht 39,2%, oder 6,6 und 12.8 M. pro Kopf, von den Verbrauchssteuern 64,9 bezw. 35,1%, und in Kopfbeträgen 9 und 14,6 M. entfallen. Aber abgesehen von manchen anderen Bedenken, die gegen die Berechnung dieser Zahlen erhoben werden können, ist vor allem auf das eine hinzuweisen, dass, wie Wittschewsky selbst bemerkt, die Hauptmasse auch der Verbraucher der von ihm sogenannten Oberschicht wegen ihres geringen Einkommens der Unterschicht sehr nahe steht. Es kann deshalb die von ihm vorgenommene Austeilung nicht als überzeugend angesehen werden.

Für das deutsche Reich darf bei Beurteilung der Belastungsverhältnisse natürlich nicht ausser acht gelassen werden, dass Reich und Bundesstaaten, einschliesslich der Selbstverwaltungskörper, wie in bezug auf Politik und Kultur, so auch in finanzieller Beziehung eine Einheit bilden. Es ist nicht angängig, die Steuern des Reiches für sich zu betrachten und zu beurteilen, man wird

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/150&oldid=- (Version vom 12.9.2021)