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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

die Sicherheit des Kapitals und regelmässiger Zins- und Tilgungszahlung gewährleistet, werden sie bereit sein, den verlangten Kredit zu gewähren. Solange die Fürsten der älteren und mittelalterlichen Zeit nicht ein fest fundiertes, geordnetes Staatswesen hinter sich hatten und mehr auf Erträge ihres Domaniums als auf Steuern angewiesen waren, war eine Schuldaufnahme für sie ausserordentlich erschwert. Ursprünglich Kleinodien, Edelsteine, später die Domäneneinkünfte, die Regalien gewisser Länderstriche und sogar – entsprechend der damaligen lehens- und privatrechtlichen Rechtsauffassung vom Staat und Staatsgebiet – dieses letztere selbst mussten verpfändet werden. Viele Territorialveränderungen im Mittelalter sind darauf zurückzuführen, dass solche Pfänder schliesslich nicht eingelöst werden konnten. Dabei waren es meist einzelne wenige Gläubiger, mit denen paktiert wurde, Fürsten, reiche Kaufleute und Bankiers. Die Vertragsform war eine privatrechtliche.

Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, dass wir die ersten Vorbilder heutigen öffentlichen Schuldenwesens früher im Städte- als im Staatswesen vorfinden. Vor allem sind es die geschlossenen italienischen Städteorganismen des Mittelalters, die zuerst eine so wirtschaftlich erstarkte Bevölkerung, eine so gute und straffe Organisation für ihr Herrschaftsgebiet zeigten, dass sie öffentlich zur Gewährung von Darlehen an die Regierung auffordern, Städteobligationen im heutigen Sinne ausgeben und auch bereits Stadtschuldbücher entrichten konnten. In der Hansazeit sind dann die grösseren deutschen Handelsstädte ihrem Beispiele gefolgt.

Was die Schulden der deutschen Fürsten und Territorialherren anbelangt, so unterschied man hier zunächst von den reinen Privatschulden die sog. Kammerschulden, welche letzteren von dem Regierungsnachfolger anerkannt werden mussten, weil sie, wenn auch nur vom Landesherrn, nicht von den Ständen, doch im Interesse der Regierungsgewalt und damit des Landes gemacht wurden. Einen weiteren Schritt stellten die Landesschulden dar, Schulden, die, ursprünglich Kammerschulden, von den Landständen als Landesschulden übernommen oder von ihnen ganz neu aufgenommen waren und aus ihren Steuerkassen verzinst und getilgt wurden, während für die Kammerschulden die landesherrliche oder Hofkasse zu haften und zu sorgen hatte.

Die absolute Monarchie, wie sie sich später in Preussen und anderwärts ausbildete, räumte wie mit dem Unterschiede von Kammer- und Landesgut auch mit dem von Kammer- und Landesschulden auf. Anleihen, die der König als Oberhaupt des Landes machte, wurden ohne weiteres Staatsschulden. Aber – zu einem Appell an den öffentlichen Geldmarkt gelangte man damit immer noch nicht. Zunächst war noch die Form der Anleiheaufnahme auf Grund privatrechtlicher Verträge mit einzelnen Bankiers, oft des Auslandes, mit kurzfristigen Rückzahlungsbedingungen usw. massgebend. Erst allmählich ging man zu Inhaberobligationen, Staatsschuldscheinen über.

Zu einer ausgedehnteren Anwendung dieser neuen Schuldform der Staatsanleihen unter Anrufung des in- und ausländischen Geldmarktes konnten erst folgende Umstände führen: Einmal die Veröffentlichung des Staatshaushaltsetats, die der Allgemeinheit einen Einblick in die staatliche Finanzgebarung eröffnete (in Preussen, wenn auch in beschränktem Masse, seit 1820), ferner die Einführung des Verfassungsstaates, welcher der Vertretung des Volkes das Recht gewährte, zur Aufnahme von Anleihen und zur Bereitstellung der zur Verzinsung und Tilgung erforderlichen Mittel im Steuerwege seine Zustimmung zu erteilen und damit die Haftung des ganzen Landes für die Landesschuld ausdrücklich anzuerkennen, endlich in letzter Linie der enorme wirtschaftliche Aufschwung, welcher seit dem 19. Jahrhundert in den grossen Kulturstaaten des Kontinents genug Kapitalisten erstehen liess, die ihre überflüssigen Mittel in Staatspapieren anlegen konnten.

Die damit eingeleitete Staatsschuldenperiode seit Beginn und Mitte des 19. Jahrhunderts weist im einzelnen wichtige Entwickelungsphasen auf. Anfänglich machte die Sicherheit der Gläubiger sowohl die Verpfändung gewisser Staatsgüter und Staatseinnahmen, wie die vertragliche Verpflichtung des Staats zur Rückzahlung des geliehenen Kapitals notwendig, bis später als einzige Sicherung der Gläubiger, selbst bei Anleihen für bestimmte Sonderzwecke, wie für produktive Anlagen (Eisenbahnen), lediglich die moralische Verpflichtung eines Staates, der gute Wille und die Fähigkeit der Regierung, ihre Obliegenheiten zu erfüllen, von den Gläubigern als genügende Sicherheit anerkannt und von diesen sogar

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/160&oldid=- (Version vom 14.9.2021)