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schliesslich auf das Recht auf allmähliche, ja auf Rückzahlung des Schuldkapitals überhaupt, verzichtet und lediglich die ordnungsmässige Verzinsung des angeliehenen Kapitals als ausreichend angesehen wurde.

Durch die grossen Vorteile, welche der öffentliche Kredit dem Staatswesen gebracht hat, wurden in neuerer Zeit mehr und mehr auch andere, dem Staat untergeordnete Gemeinwesen auf die Betretung dieses Weges bei Erfüllung ihrer Aufgaben hingewiesen. Vor allem waren es die grossen Bevölkerungszentren, die sich im Verein mit den und infolge der politischen Freiheiten, der Verkehrserleichterungen, der zunehmenden Industrialisierung und Handelstätigkeit des Volkes gebildet haben, die grossen Städte, welche im Laufe der letzten Dezennien in ausserordentlichem Masse den öffentlichen Kredit benutzt haben, um Bedingungen und Voraussetzungen für Gesundheit und kulturellen Fortschritt ihrer Bürger zu schaffen, Massnahmen, die nur grösste Bewunderung hervorrufen können. Die Inanspruchnahme des öffentl. Kredits dieser Körperschaften nimmt gegenwärtig bereits in einer Weise zu, dass bei gleichem Fortschreiten die Zeit nicht fern sein wird, wo der Jahreszuwachs an Gemeindeschulden denjenigen an Reichs- und Staatsschulden überflügeln wird.

Andere, dem Staate untergeordnete Verbände, wie grössere Kommunalverbände, sodann aber auch Kirchen- und Schulverbände, Handelskammern, Innungen usw. haben, wenn auch vorläufig noch in bescheidenerem Masse, sich ebenfalls den öffentlichen Kredit zu Nutze gemacht.

Eine bedeutsame Rolle spielt der öffentliche Kredit ferner schon seit Mitte des vor. Jahrhunderts auf dem Gebiete der Förderung des landwirtschaften Personal- und Meliorationskredits, sowie des ländlichen und städtischen Boden(Gebäude-)kredits. Hier haben sich mit staatlicher und kommunaler Unterstützung gemeinnützige Kreditunternehmungen gebildet, die auf diesem Tätigkeitsgebiete ganz Hervorragendes geleistet haben, noch leisten und vielfach bahnbrechend gewesen sind für private Institute, die sich später in ausgedehntestem Masse ähnlichen Zwecken widmeten (Hypothekenbanken). Ausführlicheres über diese Institute ebenfalls in der ersten Aufl. 184 ff.

Bevor wir in die Erörterung der einzelnen Arten von öffentlichen Krediten eingehen, müssen wir uns die Verschiedenheiten und Unterschiede zwischen öffentl. und Privatkredit kurz vergegenwärtigen.

Die allgemeinen Grundbegriffe und Elemente des Kredits und Kreditwesens gelten ebenso für den öffentlichen wie den Privatkredit. Aus der verschiedenen Natur und den verschiedenen Aufgaben der öffentlichen Wirtschaft einerseits und des Privathaushalts andererseits folgt indess notwendig eine Anzahl recht wesentlicher Unterschiede zwischen öffentlichem und privatem Kredit. Die Staats- wie Gemeindewirtschaft ist nicht wie die Einzelwirtschaft auf Erwerb an sich, als Selbstzweck, sondern auf Durchführung gemeinsamer Ausgaben und Beschaffung der Mittel zu dieser Durchführung gerichtet. Der öffentliche Kredit ist daher überwiegend Konsumtiv-, der private überwiegend Produktiv- oder Geschäftskredit. Erst in neuerer Zeit, wo Staat und Gemeinde vielfach Geschäfte und Gewerbe nach Art privater Unternehmungen betreiben, (Eisenbahnen, Bergwerke, Gas- und Elektrizitätswerke u. s. f.), deren Anlage- und Betriebskapitalien aus Mitteln des Kredits beschafft werden müssen, nimmt auch der Produktivkredit im öffentl. Kredit eine grössere Rolle ein. Aber auch in diesen Fällen soll die aus dem Produktivunternehmen gewonnene Rente nicht zur blossen Vermögensvermehrung, sondern zur Verminderung der allgemeinen Steuerlasten dienen. Andererseits muss da, wo ein solches Unternehmen unrentabel wird oder mit Defizit arbeitet, der Steuerzahler helfend eintreten, um die erforderliche Zins- und Tilgungslast zu decken. Die Sicherheit des Gläubigers besteht daher beim öffentlichen Kredit in letzter Linie nicht wie beim Privatkredit in der Rentabilität des Unternehmens, sondern in der Zahlungskraft und Leistungsfähigkeit der Steuerzahler. Daneben liegen nicht unwesentliche Garantien für den Gläubiger in der Qualität der verwaltungsführenden Beamten und in den öffentlichen Kontrollen der Verwaltung.

Weitere Unterschiede zwischen öffentlichem und Privatkredit folgen aus dem Umstande, dass Staat und Gemeinden „ewige“ Wesen sind, deren Bestand begrifflich ein dauernder ist, weshalb

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/161&oldid=- (Version vom 14.9.2021)