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aus der Natur des Schuldners heraus der Gläubiger von seinem Standpunkte aus im Gegensatze zum privaten Kredit auf eine Rückzahlung in bestimmter Zeit verzichten oder doch die Rückzahlung ziemlich lange hinausschieben kann. Die Aufgaben, welche den öffentlichen Wirtschaften obliegen, machen ferner für diese in weit überwiegendem Masse langfristigen Kredit erforderlich, während bei dem privaten Geschäftsmann oft der kurzfristige Kredit eine weitaus grössere Rolle spielt.

Endlich fordert die mit der Grösse der öffentlichen Ausgaben zusammenhängende Höhe der Anleihesummen, die beim öffentl. Kredit in Frage kommen, dass die Form der Anleiheaufnahme (Namens- und Inhaberobligation, Schuldbuch), von der im Privatleben üblichen Form der Schuldaufnahme (Darlehen) erheblich abweicht. Erst seitdem in neuerer Zeit in der Volkswirtschaft die Gesellschafts- und Genossenschaftsbildung immer mehr überhand genommen hat, hat die von öffentl. Kreditinstituten geschaffene Form der Namens- und Inhaberobligationen auch im privaten Wirtschafts- und Kreditleben einen immer wachsenden Eingang gefunden (Industrieobligationen, Pfandbriefe usw.)

B. Staatliches Kreditwesen.

Entsprechend der Bedeutung und den Aufgaben des Staates spielt das staatl. Kreditwesen unter allen Arten des öffentlichen Kredits die weitaus bedeutendste und zugleich führende Rolle.

Die starke Rückwirkung, welche die Aufnahme staatlicher Kredite für den lebenden und zukünftigen Steuerzahler ausübt oder doch ausüben kann, lässt es fast als selbstverständlich erscheinen, dass im konstitutionellen Staat die Ermächtigung zur Aufnahme von Staatskredit nur durch Gesetz geschehen kann (R. V. Art. 73 Pr. V. U. Art. 103, Bayerische V. U. v. 26. Mai 1818, Tit. VII, §§ 11–13 usw.).[1] Und nicht minder einleuchtend ist, dass die Vorbereitung und Ausführung der Kreditgesetze, auch wenn andere Ressorts der Kredite bedürfen, dem Finanzchef obliegt, der für die Übereinstimmung von Einnahmen und Ausgaben im staatlichen Haushalt zu sorgen hat. Er ist zugleich derjenige Minister, der über Art und Form der Kreditaufnahme regelmässig Entscheidung zu treffen hat.

Als hauptsächlichste Arten des Staatskredits hat man zu unterscheiden Staatspapiergeld, schwebende Schulden und feste oder fundierte Schulden.

1. Staatspapiergeld.

Staatliches Papiergeld spielt heute im Deutschen Reiche nur noch eine untergeordnete Rolle.

Durch das R. Ges. v. 30. April 1874 (Rgbl. S. 40) wurden an Stelle der verschiedenen Staatspapiergeldarten, welche binnen einer bestimmten Frist aufzurufen und schnellstens einzuziehen waren, 120 Mill. unverzinsliche Reichskassenscheine geschaffen, eine Summe, welche dem im Juliusturm zu Spandau liegenden baren Reichskriegsschatze genau entsprach, aber nicht etwa auf derselben radiziert war.

Diese 1874 ausgegebenen Reichskassenscheine wurden unter die Bundesstaaten nach dem Massstabe ihrer durch die Zählung vom 1. Dezember 1871 festgestellten Bevölkerung verteilt. Doch durften die Bundesstaaten die Reichskassenscheine nur in dem Masse ausgeben, als sie ihr eigenes Papiergeld einzogen.[2]

Hinsichtlich der Natur dieser Reichskassenscheine ist daran festzuhalten, dass sie kein eigentliches Papiergeld darstellen. Sie sind der Kategorie des uneigentlichen Papiergeldes


  1. Es handelt sich hier nur um die eigentlichen Finanzschulden, welche zur Ergänzung fehlender ordentlicher Deckungsmittel für den Staatsbedarf zu dienen bestimmt sind, nicht dagegen sog. Verwaltungsschulden d. h. Kreditmassnahmen, die in der gewöhnlichen Geschäftserledigung der Verwaltungsorgane vorkommen, aber sich im übrigen in nichts von den Kreditgeschäften des gewöhnlichen privaten Geschäftslebens unterscheiden und nicht dazu dienen sollen, fehlende Einnahmen des Staates dauernd oder vorübergehend zu ergänzen. Die Vornahme derartiger Schulden vollzieht sich in rein privatrechtlicher Form, ist ein Ausfluss der allgemeinen Ressortbefugnisse der Verwaltungsbehörden und bedarf einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung nicht.
  2. Neues Staatspapiergeld dürfen die Bundesstaaten nur auf Grund eines Reichsgesetzes ausgeben (§ 8 R Ges. v. 30. 4. 74).
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/162&oldid=- (Version vom 30.3.2023)