Seite:Handbuch der Politik Band 2.pdf/168

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Was die Verzinsung der Reichsschulden anbelangt, so wurde, wie bereits hervorgehoben, die erste Anleihe von 43 Mill. M. des Reiches im Jahre 1877 mit 4% zu 94% begeben und dem Publikum (im Wege der öffentl. Zeichnung) zu 94,6% angeboten. Es wurden aber 1877 noch einige kleinere Anleihen durch freihändigen Verkauf zu Kursen zwischen 94,25–96 begeben. Der Durchschnittskurs der im Jahre 1877 begebenen 72,2 Mill. M. nominal stellte sich auf 94,33%, was Realzinsfuss von 4,24% bedeutete. Von da an besserten sich die Zinsbedingungen von Jahr zu Jahr in fast ununterbrochenem Tempo bis zum Jahre 1889. Die Emissionskurse der bis zum Jahre 1886 neu aufgenommenen 4% Anleihen stiegen allmählich bis auf fast 106% (105,96%) an, wodurch der Realzins bis auf 3,77% herabgemindert wurde. In diese Zeit (4. 3. 85) fiel in Preussen eine grosse Konversion 4½%iger Konsols (545¾ Mill. M.) und die Umwandlung von über 1½ Milliarden Eisenbahnprioritäten, zu meistenteils 4½% verzinslich, in 4% Konsols. Zugleich ging Preussen (seit Juli 1885) zum 3½%igen Typ über. Dieser Tatsache gegenüber glaubte die Reichsregierung berechtigt zu sein, nunmehr auch ihrerseits den 4% Typ verlassen zu können, und gab 1886 neben 10 Mill. M. 4% zum ersten Mal 36,2 Mill. M. 3½%iger Reichsanleihe aus. Wie richtig die Massnahme war, ergab sich am besten daraus, dass die neuen 3½%igen Titres fast genau zu pari (zu 100,03%) ausgegeben werden konnten, wodurch sich der Realzins von 3,77 auf 3,50% herabminderte. Im folgenden Jahre, 1887, konnte dieser Emissionskurs allerdings nicht ganz aufrecht erhalten werden, was wohl vor allem daran lag, dass, während bisher die Jahresaufnahme von Anleihen sich zwischen Summen von 24–79 Mill. M. bewegte, in diesem Jahre mit einem Male nicht weniger wie 235 Mill. M. Schulden aufgenommen wurden. Der Emissionskurs konnte daher nur auf 99,28% festgestellt werden, was den Realzins auf 3,53% erhöhte. In den Jahren 1888 und 1889 hob sich aber, obgleich die sehr erheblichen Summen von 163 und 234 Mill. M. aufgenommen werden mussten, der Emissionskurs bereits wieder auf 102,59 und 102,70%, der Realzins senkte sich also auf 3,41% und 3,40%.

So hatte die Regierung in dieser ganzen Zeit mit dem System der Emission nominell hoch verzinslicher Schulden recht gute Erfolge erzielt. Für die in der Zeit von 1877 bis 1889 begebenen Anleihen im Nominalbeträge von insgesamt 1 117 981 800 M. wurden bei der Emission in Wirklichkeit erzielt 1 225 555 904 M.[1]

Das Jahr 1890 brachte eine wesentliche Wandlung in der Anleihepolitik der Regierung insofern, als diese mehr zum System nominell niedrig verzinslicher Schulden überging. Es wurden nämlich in diesem Jahre zum ersten Mal neben 29,8 Mill. M. 3½%iger zu 98,58% auf 170 Mill. M. 3%ige Reichsanleihe zu 86,39% ausgegeben.

Der Erfolg der Anleihe vom rein fiskalischen Standpunkte war zunächst ein günstiger. Während die 3½% Anleihe des Jahres 1890 von 29,8 Mill. den Realzins wieder auf 3,55% gesteigert hatte, senkte sich nun bei 3% und einem Emissionskurse von 86,39% der Realzins wieder auf 3,47%. Für die Besitzer der bestehenden 4 und 3½% Reichsanleihen bedeutete diese Einführung des 3% Typs aber einen gewissen Schreckschuss, indem sie nunmehr ernstlich genötigt wurden, sich auf Konvertierungsmassnahmen vorzubereiten. Namentlich mussten die Besitzer 4% Titres mit einer solchen Massnahme rechnen. Für diese Anleihen war daher die aufsteigende Richtung der Kursbewegung nunmehr dauernd vorbei. Während sich ihr Durchschnittskurs von 1877 bis 1889 von 95,69% allmählich bis auf 108,16% (Höchstsatz 1889 sogar 109,60%) gesteigert hatte, wurde ein solcher Kurs von nun an nicht mehr erreicht. Der Kurssteigerung von Beginn der 90er Jahre bis 1896 von 98,39% auf 104,58% bei den 3½%igen und bis 1895 von 87,10% bis 100,30% bei den 3%igen stand bei den 4%igen eine rückläufige Entwickelung des Börsenkurses von 106,75%[2] bis 103,64% im Jahre 1897 gegenüber.

Bei der Frage, ob jenes Übergehen der Reichsregierung zum 3%igen Typ – das Hand in Hand ging mit der Einführung des 3%igen Typs in Preussen – berechtigt war, oder nicht, wird zu berücksichtigen sein, dass der Anleihemarkt damals mit 36%igen Anleihen durch die starken Anleiheaufnahmen in Preussen und im Reich sehr wesentlich überlastet war,


  1. S. Bericht der Reichsschuldenkommission Reichst.-Session 90/92 Aktenst. 422.
  2. Nur um 1892 u. 1893 fand eine kleine Steigerung auf 106,90 und 107,24% statt.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/168&oldid=- (Version vom 15.9.2021)