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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Annalen auf rund 3–4 Milliarden M. geschätzt. Rechnet man zu diesen Werten noch das Grundstücks- Domänen-, Forst- und Kapital-Vermögen hinzu, so dürfte das Gemeindeschuldkapital durch das gegenüberstehende werbende Aktivvermögen reichlich ausgeglichen, ja sogar überdeckt sein. Von dem Grund- und Forstvermögen sind leider Anfang des vorigen Jahrhunderts namentlich zur Tilgung von Kriegsschulden grosse Komplexe veräussert worden. Immerhin wurde 1900 noch ein Gemeindeforstbesitz in Deutschland von insgesamt 2 258 090 ha amtlich ermittelt (1/6 der Gesamtforstfläche). 1210 Städte und 37 Landgemeinden Preussens mit mehr als 10 000 Einwohnern verfügten nach einer amtlichen Statistik von 1906 allein über eine Gesamtfläche von 586 028 ha an Forsten, Gütern, Äckern, Wiesen, Weiden u. Seen. Ihr Kapitalvermögen betrug über ½ Milliarde (557 Mill. M.). Über die Vermögensentwicklung gegenüber der Schuldenentwicklung liegen namentlich für Bayern amtliche Materialien vor. Von 1892 bis 1907 vermehrten sich dort die Gemeindeschulden von 215,3 auf 701,7 Mill. M., dagegen das Vermögen von 577,9 auf 1350,7 Mill. M., darunter das werbende Vermögen (sog. rentierendes Vermögen) von 401,5 auf 952,5 Mill. M.

Trotz dieses günstigen Verhältnisses darf das gewaltige Anschwellen der Gemeindeschulden in neuerer Zeit nicht ganz ohne Besorgnis betrachtet werden. Das Mass dessen, was ein Gemeinwesen den Bürgern an nützlichen Anstalten und Annehmlichkeiten bietet, ist an sich unbegrenzt. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts in Preussen ist die Gemeinde in der Ausdehnung ihres fakultativen Aufgabenkreises theoretisch nahezu unbeschränkt. In der Praxis muss aber ein Mass gefunden werden in dem Druck der Steuerlast und dem Widerwillen des Kapitalmarkts zur fortwährenden Neuaufnahme festverzinslicher Werte, wie er in dem Kurszettel zutage tritt. Und schliesslich sollte auch die Möglichkeit wirtschaftlicher Rückschläge, kriegerischer Verwicklungen und die Rücksichtnahme auf den namentlich in ernsten Zeitläuften ungeheuer wichtigen Staatskredit der Unternehmungslust allzu tatendurstiger Bürgermeister und allzu freigiebiger Stadtparlamente Zügel anlegen. In diesem Sinne kann der vor kurzem ergangene Pr. Min.-Erl. v. 1. Febr. 1912, wonach sich die Regierungs-Präsidenten in möglichst frühem Stadium um die Frage der Finanzierung grösserer Anleiheprojekte in den ihrer Aufsicht unterstellten Gemeinden kümmern sollen, nur dankbar begrüsst werden. Denn sehr häufig sind die Vorarbeiten zu Gemeindeanleihen bei Nachsuchung der Anleihegenehmigung schon soweit gediehen, dass für die die Anleihen zu diesem Zwecke genehmigenden Behörden ohne schwere Schädigung gemeindlicher Interessen eine Versagung kaum mehr möglich ist. Ähnliche Erlasse sind auch in anderen Bundesstaaten ergangen. (Sachsen).

Was die Schuldformen der Gemeinden anbetrifft, so würden begrifflich unkündbare also Renten-Schuldobligationen für Städte ebenso wie für Staaten zulässig sein, da ja auch Gemeinden als ewige Wesen gelten müssen. Der Staat hält indessen regelmässig streng an dem Erfodernis einer angemessenen Tilgung bei Genehmigung aller kommunalen Anleihen fest, schon um den Gemeinden das Schuldenmachen nicht zu sehr zu erleichtern, und weil die Entwicklungsbedingungen einer Gemeinde immerhin leichter einem Wechsel unterworfen sind, als diejenigen des gesamten Staatswesens (Änderungen der Verkehrsverhältnisse, wirtschaftlicher Konjunkturumschwung bei industriellen Gemeinden, Fortzug reicher Steuerzahler, Kriegführung namentlich im eigenen Lande u. A. m.) In einigen deutschen Gesetzgebungen ist dies Prinzip sogar gesetzlich zum Ausdruck gebracht worden, z. B. Bayersch. G.O. rechtsrh. Art. 62, Hess. St. O. Art. 117 Sächs. Rev. St.O. § 131. In den anderen Staaten wird im Verwaltungswege auf sachgemässe Tilgung gehalten. In Preussen war schon in dem bereits zitierten Erlasse von 1891 vorgeschrieben, dass der Mindesttilgungssatz 1% sein müsse, dass aber bei den rascher sich abnutzenden Pflasterungen mindestens 2, bei Kanalisationen 1½% des Anlagekapitals unter Zuwachs der ersparten Zinsen usw. als Mindestsätze zu gelten hätten. Ein Erlass von 1907 erhöht alle diese Mindestsätze auf 1¼, 2½ bezw. 2%.

Die Schulden der höheren Kommunalverbände in Deutschland treten gegenüber den Gemeindeschulden an Bedeutung sehr zurück. Die Ursache liegt nicht allein in der geringeren Zahl dieser Verbände, in dem jüngeren Datum der kommunalen Bedeutung dieser ursprünglich meist mehr als Verwaltungsbezirke gedachten Institutionen, sondern auch in der weit eingeschränkteren Zahl der ihnen obliegenden Aufgaben.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/176&oldid=- (Version vom 15.9.2021)